Rheinische Post Opladen

Im Tropenwald der Meere

Wer das Rote Meer nur von oben kennt, ahnt kaum, welche fantastisc­hen Welten es jenseits der Wasserober­fläche gibt. Bunte Schwärme bieten einmalige Choreograf­ien zwischen Hunderte Jahre alten Korallen.

- VON JOHANNES SADEK

Der Steinfisch ruht in 28 Metern Tiefe am Hang, wenig beeindruck­t von den Tauchern, die von oben wie Astronaute­n herabschwe­ben. Erst als ein Schweizer seine Kamera zieht, regt er sich: Der Lauerjäger, der dank seiner Tarnung eher an einen Klumpen Korallen erinnert, hebt sich kurz, dreht dann aber seitwärts und kehrt seinen Besuchern den Rücken zu. Sediment rieselt zu Boden.

Fischen und anderen Meerestier­en scheinen die vielen Taucherinn­en und Taucher ziemlich egal zu sein, die sich Tag für Tag mit ihrer klobigen Ausrüstung ins Rote Meer plumpsen lassen.

Umso entzückter sind dagegen die Menschen, die hier in Ägypten einen Blick unter Wasser wagen. Bis heute eröffnen sich dort fantastisc­he Welten, stille Wälder voll bunter Schwärme, die zwischen Hunderte Jahre alten Korallen schwimmen. Ein Tauchgang hier sei, sagt ein Fotograf, als würde man „in einem Aquarium schwimmen“.

Der Haupteinga­ng zu diesem „Aquarium“liegt in Scharm el Scheich, touristisc­hes Zentrum am Südzipfel der Sinai-Halbinsel. Entwickelt wurde der Badeort schon in den 1980er-Jahren, noch unter Besatzung Israels. Nach deren Truppenabz­ug trieb Ägypten den Ausbau von Hotels kräftig voran, das Online-Reisebüro Expedia zählt heute rund 450 Unterkünft­e. Nicht wenige liegen neben Tauch-Shops oder haben eigene Anbieter im Haus. Sie bieten Pakete für Schnorchle­r, Taucher und solche, die es werden wollen.

Die Morgensonn­e lässt das Meer weiß aufblitzen, als Tauchführe­r Saif seine Gäste am Hotel einsammelt. Dutzende Tauchboote liegen bereit, sie heißen „Captain Morgan“, „Blue Planet“, „Hamburg“und „Nemo“.

Hier beginnt das Meeresschu­tzgebiet am Nationalpa­rk Ras Mohammed, den die Artenund Naturschut­zorganisat­ion IUCN als „Ägyptens Unterwasse­r-Paradies“beschreibt. Es zähle zu den am besten geschützte­n der Welt. Das Riff, ein komplexes Ökosystem für unzählige Arten, ist das größte Afrikas und erstreckt sich über 2000 Kilometer von Ägypten in den Sudan bis nach Eritrea.

Und dann endlich: abtauchen. Erste Züge aus der Druckluftf­lasche, Rundumblic­k nach unten, sinken lassen. Salzwasser läuft ins Neopren, wärmt sich auf und umhüllt den Körper. Die sperrige Ausrüstung, mit der man eben noch ungelenk zum Bootsrand torkelte, verwandelt sich in eine geschmeidi­ge Sommerjack­e, die Flossen in Socken mit Antrieb. Schwerelos gleitet man davon.

Bald hat man vier, sieben, dann zwölf Meter Wasser über sich. Clownfisch­e spielen Verstecken. Meterlange Muränen schlängeln sich zwischen Felsen. Ein großer Papageifis­ch trägt seine Regenbogen­farben lässig am Grund spazieren, später gleitet ein anderthalb Meter langer Napoleon-Lippfisch vorbei, den die IUCN auf ihre Rote Liste gefährdete­r Arten gesetzt hat.

Die Stars hier unten, so viel ist klar, sind die Fische und Schildkröt­en. Selbst Delfine, Walhaie und Weißspitze­n-Hochseehai­e treiben sich hier an guten Tagen rum.

Aber das Schauspiel wird erst komplett in der Kulisse prächtiger Korallen, die nach Worten von Professor Anders Meibom

weltweit inzwischen ihresgleic­hen suchen. Der Forscher des Transnatio­nal Red Sea Center beschreibt sie sogar als „Hoffnung für die Menschheit“, weil sie besonders widerstand­sfähig seien in Zeiten des Klimawande­ls.

„Die Karibik ist mehr oder weniger ausgerotte­t“, sagt Meibom über die dortigen Korallen. Auch um die Malediven im Indischen Ozean sehe es „sehr schlecht“aus. Das Korallendr­eieck um Indonesien und

dessen Nachbarn sei ebenfalls „enorm unter Druck durch Verschmutz­ung und Abwasser“. Die Erwärmung der Meere beschleuni­gt das Ausbleiche­n und macht auch vor Australien­s berühmtem Great Barrier Reef nicht Halt.

Auch im Golf von Akaba, eine Art Neben-Badewanne des Roten Meeres mit Scharm el Scheich am Stöpsel, stehen Korallen unter Stress. Doch hier verfügen sie über besondere Abwehrkräf­te gegen höhere

Temperatur­en. Der Grund dafür war wohl die letzte Eiszeit vor rund 18.000 Jahren, nach deren Ende sich die Korallen langsam hierher verbreitet­en. Weil auf ihrem Weg Gebiete mit höheren Temperatur­en lagen, überlebten die sehr hitzebestä­ndigen Exemplare.

„Diese Art von Widerstand­sfähigkeit gegen Erwärmung existiert nirgendwo sonst“, erklärt Meibom, der vor einigen Monaten mit einem Team im Golf von Akaba unterwegs

war. Die fasziniere­nden Gebilde wirken wahlweise wie leuchtende Sträucher, Blumenwies­en, Brokkoli-Felder, psychoakti­ve Schwämme und versteiner­te Gehirne. Einige entstanden vor mehr als 50 Millionen Jahren.

Man mag kaum glauben, dass sich dieses uralte Unterwasse­rwachstum betrachten lässt, in dem man einfach in einer Badehose zum Steg spaziert. Ist aber so. In Scharm el Scheich und weiter nördlich in

Dahab und Nuwaiba lässt sich das Schnorchel- und Taucherleb­nis vom Ufer aus buchstäbli­ch zu Fuß beginnen.

Selbst der manchmal abschrecke­nde Pauschalto­urismus kommt neben dieser Szenerie irgendwie niedlich daher. Von unten aus dem Wasser betrachtet wirkt am Hotel-Riff auch der Urlauber putzig, dem die blaue Badehose gemütlich überm Bauch hängt und der langsam strampelnd mit seinen Mitschwimm­ern plaudert.

Schweren Schaden hinterlass­en hat der Tourismus natürlich auch hier. Zusammen mit der Belastung durch Öl und Schwermeta­ll sowie der Bebauung von Küsten zähle der Tourismus für Korallen zu den größten Stressfakt­oren, sagt Jessica Bellworthy. Sie forscht am Labor für Korallen-Biomineral­isation und -Physiologi­e an der israelisch­en Haifa-Universitä­t.

„Wenn wir den örtlichen Schaden an unseren Korallenri­ffen nicht begrenzen können, und zwar schnell, wird deren herausrage­nde Hitzebestä­ndigkeit keine Rolle spielen“, sagt Bellworthy.

Bei solch düsteren Bildern wünscht man sich, alle Badeorte wären so ursprüngli­ch geblieben wie Nuwaiba weiter im Norden mit seinen Strohhütte­n-Camps. Ein Ort, an dem Besuchern warme Wüstenluft ins Gesicht bläst. An dem die Pastellfar­ben der Bergkette alle paar Stunden zwischen Braungrau und Beige wechseln, je nachdem, wie die Sonne am Himmel steht. Das Gebirge sieht abends aus wie mit Weichzeich­ner in den diesigen Horizont gemalt.

Spätestens beim dritten Tauchgang ist man hier überzeugt, Alltag und Gefühlswel­t der Meeresbewo­hner verstanden zu haben. Halten sich die gelb und schwarz gestreifte­n Rotmeer-Wimpelfisc­he nicht deshalb immer in Paaren auf, weil sie etwas Wichtiges besprechen müssen? Schmunzelt der Papageifis­ch nicht vor allem, weil er einen guten Witz, den er gerade hörte, gleich seinen Kumpels erzählen will? Man will hier unten bleiben, ein Stück seines Lebens ein Fisch sein.

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FOTO: CINZIA OSELE BISMARCK/OCEAN IMAGE BANK/THE OCEAN AGENCY/DPA-TMN Auch Walhaie schwimmen durch die Gewässer des Nationalpa­rks Ras Mohammed.
 ?? FOTO: RENATA ROMEO/OCEAN IMAGE BANK/THE OCEAN AGENCY/DPA-TMN ?? Unterwasse­rparadies: Bunte Fischschwä­rme ziehen durch die Korallenwe­lt vor Scharm el Scheich und begeistern Taucher.
FOTO: RENATA ROMEO/OCEAN IMAGE BANK/THE OCEAN AGENCY/DPA-TMN Unterwasse­rparadies: Bunte Fischschwä­rme ziehen durch die Korallenwe­lt vor Scharm el Scheich und begeistern Taucher.
 ?? FOTOS (2): GEHAD HAMDY/DPA-TMN ?? Ausgelegt auf Badeurlaub­er und Taucher: Scharm el Scheich ist das touristisc­he Zentrum auf dem Sinai.
FOTOS (2): GEHAD HAMDY/DPA-TMN Ausgelegt auf Badeurlaub­er und Taucher: Scharm el Scheich ist das touristisc­he Zentrum auf dem Sinai.
 ?? ?? In der Naama Bay in Scharm el Scheich muss man manchmal gar nicht tief tauchen, um farbenfroh­e Gesellscha­ft zu bekommen.
In der Naama Bay in Scharm el Scheich muss man manchmal gar nicht tief tauchen, um farbenfroh­e Gesellscha­ft zu bekommen.

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