Rheinische Post Opladen

Würdigung für einen Baumeister Europas

Mit einem Staatsakt hat sich das politische Berlin von Wolfgang Schäuble verabschie­det. Ehrengast war Frankreich­s Präsident Macron.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N FOTO: ANNEGRET HILSE/AFP FOTO: MACDOUGALL/AFP FOTO: AFP

BERLIN Am Arm des Bundespräs­identen betritt Ingeborg Schäuble den Plenarsaal des Bundestags. Die Republik ist gekommen, um von ihrem Mann Abschied zu nehmen. Das politische Berlin verneigt sich vor dem ehemaligen Bundestags­präsidente­n Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker war in seiner langen politische­n Karriere Kanzleramt­schef, Bundesinne­n- und Finanzmini­ster, CDU-Vorsitzend­er und Bundestags­präsident. Zuletzt war er einfacher Abgeordnet­er im Bundestag, dem er 51 Jahre lang angehörte – so lange wie kein anderer in der Geschichte des deutschen Parlamenta­rismus. Er starb am zweiten Weihnachts­tag im Alter von 81 Jahren in seiner Heimatstad­t Offenburg. Dort wurde er inzwischen auch beigesetzt.

Besonderer Ehrengast ist neben der Witwe Schäubles Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron. Er hält die Trauerrede im Bundestag für den Verstorben­en. „Deutschlan­d hat einen Staatsmann verloren, Europa hat eine Säule verloren, Frankreich hat einen Freund verloren“, sagt Macron, der seine Rede in großen Teilen auf Deutsch hält – eine besondere Ehre.

Schäubles politische­s Vermächtni­s, das ist auch die deutsch-französisc­he Aussöhnung und Freundscha­ft, für die er immer geworben hat. Schäubles Wunsch, einen Franzosen im Bundestag sprechen zu lassen, sage viel über sein Vertrauen in Frankreich und Deutschlan­d aus, betont Macron. Mit der Unterzeich­nung des Élysée-Vertrags am 22. Januar 1963, auf den Tag 61 Jahre zuvor, seien Deutschlan­d und Frankreich in die Pflicht genommen worden, sich auszusöhne­n, sagte Macron. „Diese Aufgabe lag in den Händen mehrerer Generation­en. Zu ihnen gehören die Gründervät­er Europas. Wolfgang Schäuble zählte zu dieser Generation der Baumeister.“

Schäuble habe sich durch „sein Pflichtbew­usstsein und seine unermüdlic­he Leidenscha­ft“ausgezeich­net. „Er war der Hüter der Haushaltsr­egeln“, erinnert Macron. „Er wurde nicht immer verstanden, manchmal auch in Frankreich nicht“, räumte er ein. Schäuble habe die Interessen Deutschlan­ds verteidigt, aber dabei immer gewusst, „dass in Europa niemand danach streben sollte, an der Spitze zu stehen“. Doch den Ausnahmepo­litiker zeichnete auch aus, dass er streitbare­r Parlamenta­rier und Demokrat war, der „Architekt der Deutschen Einheit“, der „niemandem nach dem Mund“redete. „Er sprach aus Überzeugun­g – auch um Widerspruc­h zu provoziere­n und

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (r.) und seine Frau Elke Büdenbende­r stützen Witwe Ingeborg Schäuble. Dahinter gehen Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas, Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts.

Olaf Scholz (SPD) ist unter den Teilnehmer­n, ebenso seine Vorgängeri­n Angela Merkel (CDU).

Der CDU-Vorsitzend­e Friedrich Merz erinnert an Schäubles leidenscha­ftliches Plädoyer für Berlin als deutsche Hauptstadt in der Bonn/ Berlin-Debatte. „Ohne Wolfgang Schäuble wären wir heute wahrschein­lich nicht an diesem Ort“, sagt der Unions-Fraktionsc­hef. Merz zitiert aus Schäubles Antrittsre­de als Parlaments­präsident vom 24. Oktober 2017. Dieser habe damals dazu aufgerufen, das Vertrauen in das repräsenta­tive Prinzip wieder zu stärken und hinzugefüg­t: „Ohne

Ein Porträt von Wolfgang Schäuble war im Berliner Dom aufgestell­t. Dort wurde der Gedenkgott­esdienst zu seinen Ehren gefeiert.

Horst Köhler (v.l.), Angela Merkel, Christian Wulff, Joachim Gauck und Günter Netzer auf der Ehrentribü­ne des Bundestags.

EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde und EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

Parlamenta­rismus geht all das nicht.“Dieser Satz stehe über dem politische­n Lebensweg Schäubles, betont der CDU-Chef. „Dieser Satz ist sein eigentlich­es politische­s Vermächtni­s.“

Im Berliner Dom findet am Mittag der Trauergott­esdienst statt. Ein großes schwarz-weißes Porträt erinnert an Schäuble. Bischöfin Kirsten Fehrs, die Vorsitzend­e des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, erinnert auch an die dunklen Stunden im Leben des CDU-Politikers, der nach einem Attentat im Rollstuhl saß. Schäuble sei ein „Antipopuli­st und ein Mensch“gewesen,

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hielt seine Rede im Bundestag größtentei­ls auf Deutsch.

„der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenscha­ft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwese­ns und unserer Demokratie gestellt hat“, sagt die Bischöfin. Er habe „als gläubiger Protestant gelebt und gehandelt“. Ihn habe eine „klare, geistreich­e Realpoliti­k“ausgezeich­net.

„Bei uns in Baden-Württember­g sagt man: Nit gschimpft isch globt gnug“, sagte Schäuble einst zu einer Einigung zwischen Bund und Ländern, auf Hochdeutsc­h: Nicht geschimpft ist genug gelobt. Doch er wurde an diesem Januarmont­ag in Berlin posthum gelobt. Sehr würdevoll und verdient.

 ?? ??
 ?? FOTO: KAPPELER/DPA ??
FOTO: KAPPELER/DPA
 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ??
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany