Pokal-Aus hält Borussia den Spiegel vor
Mönchengladbach spielt eine der schwächsten Saisons der Vereinsgeschichte. Die Pleite in Saarbrücken ist ein Symptom für die Krise des Klubs. Ein erneuter Trainerwechsel würde nur den stetigen Verfall vorantreiben. Es ist noch problematischer.
Rudi Völler kann „die Geschichte immer mit dem Tiefpunkt und nochmal ‚n Tiefpunkt“schon seit 20 Jahren nicht mehr hören. Bei Borussia Mönchengladbach muss die Debatte seit Dienstagabend wieder lebhaft geführt werden. Nach der Blamage im DFB-Pokal-Viertelfinale beim 1. FC Saarbrücken dürfte einer Saison, die viel zu selten überhaupt an den Strom angeschlossen ist, sportlich der Stecker gezogen sein.
Der Pokal sollte der Ausreißer nach oben sein, die Chance aufs erste Finale seit 29 Jahren war so groß wie nur in den Spielzeiten, die mit einem Halbfinal-Trauma endeten. Mit einem Anflug von Zynismus ließe sich festhalten, dass Borussia dieses Schicksal durch das 1:2 gegen den Drittligisten immerhin erspart bleibt. Heilsam kann diese Pleite unmöglich sein, aber sie verhindert, dass eine Endspielreise nach Berlin den Blick auf die Probleme verdeckt, die solch ein Erfolg nicht gelöst hätte.
Die Analyse nicht im Rudi-VöllerStil anzugehen wie bei dessen Wutrede in Island 2003, dürfte der richtige Ansatz sein – sich auf die Ereignisse in Saarbrücken zu beschränken, der falsche. Dieser Abend hält nicht nur der Mannschaft, sondern dem gesamten Verein den Spiegel vor, nachdem die Verantwortlichen die Vermeidung von Rückschlägen zuletzt als Fortschritt zu deuten schienen. Der Gegner musste sich als Reaktion auf unterlegene 25 Minuten – in denen ihm mit dem einzigen Schuss aufs Tor dennoch der Ausgleich gelang – nur hinten reinstellen, leidenschaftlich, aber ohne besondere Raffinesse. Das genügte, um Gladbachs Ideenlosigkeit im Angriffsdrittel bloßzustellen.
Trainer Gerardo Seoane hat in dieser Saison schon viele Pläne präsentiert: Mal ist Plan B der Plan A, mal funktioniert sogar C, aber fast nie haut einer der Pläne über 90 Minuten hin oder zwei verschiedene in gewinnbringender Kombination. Adi Hütter wollte Gegen-den-BallFußball spielen lassen, Daniel Farke Mit-dem-Ball-Fußball – bei Seoane ist es Von-allem-etwas-Fußball.
Sein Pragmatismus war im Sommer und im Herbst ein geeigneter Platzhalter für eine Mannschaft, die
den größten Kaderumbruch seit 15 Jahren hinter sich hatte. Sie suchte, schien sich zu finden, doch im Winter 2023/24 suchte sie vor allem wieder – plötzlich ist der Frühling da. Seoanes Standing lebt neben seiner Professionalität und Klarheit im Zwischenmenschlichen auch davon, dass Borussia den Weg des geringsten Widerstandes zuletzt zweimal gegangen ist, ein dritter Trainerwechsel in Folge würde die HSV- und Schalke-isierung vorantreiben.
„Ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft nicht damit umgehen kann, wenn Druck aufkommt“, sagte Sportchef Roland Virkus in Saarbrücken. Das war natürlich eine vollkommen richtige Einschätzung, doch auch Virkus hat in den vergangenen Jahren diese Kultur genährt. Die schwammigen Saisonziele, die wenig stringenten Stilvorgaben, der ewige Verweis auf den „Prozess“oder eine „junge Mannschaft“– auch das
hat eine giftige Ambitionslosigkeit in den Verein getragen.
Eine Fußball-Mannschaft ist kein Haus, bei dem die Bodenplatte gegossen wird, dann wird es hochgezogen, Richtfest gefeiert und nach dem Innenausbau erfolgt der Einzug. Gladbach und sein „Prozess“– das klingt, als gäbe es einen Punkt, an dem er als abgeschlossen zu bezeichnen wäre. Wie stellt sich die sportliche Führung das vor? Darüber
hinaus ist das Team nicht „jung“, es ist nur nicht mehr überaltert, nachdem fehlende Fluktuation die Statik des Kaders bröckeln ließ.
„Irgendwann ist es eine Frage der Qualität“, sagte Virkus. Doch Borussia hat viel eher Defizite, wenn es um das Abrufen noch vorhandener Qualität geht und darum, die Qualität in Einklang zu bringen mit einer sportlichen Linie. Nach dem Abpfiff standen Julian Weigl und Florian Neuhaus als Kapitäne bei den Fans, zwei Ex-Nationalspieler im besten Fußballalter, die in dieser Saison vor allem damit beschäftigt sind, ihre Schwächen zu stärken – und dabei ihre Stärken schwächen.
Nun wird es keine „Berlin, Berlin“-Euphorie mehr geben, die womöglich auf fatale Weise einen erfolgreichen Turnaround suggeriert hätte. Borussia spielt nach Punkten eine der schwächsten Saisons ihrer Geschichte, womöglich wird die Ausbeute zum vierten Mal in Folge schlechter als in der Spielzeit davor ausfallen. Das gab es bislang nur einmal, vom Pokalsieg 1995 bis zum ersten Abstieg 1999.
Die Verantwortlichen haben oft darauf verwiesen, dass es Rückschläge geben werde, inzwischen sind sie die Regel. Der Mangel an Glücksmomenten raubt den Fans jegliche Energie. Borussia gewinnt keine zwei Spiele in Folge, fast nie auswärts und verspielt mit Abstand die meisten Führungen. Dabei schafft sie es, der sechstbesten Offensive die drittschlechteste Defensive gegenüberzustellen. Egal, wie niedrig die Erwartungen sind, wie ein Limbo-Weltmeister taucht Borussia darunter durch.
Gelingt am Samstag beim 1. FC Heidenheim kein Sieg, gerät Gladbachs Rückrunde gegenüber der Hinrunde ins Minus. Die Pleite in Saarbrücken war kein Tiefpunkt vom Tiefpunkt, sondern ein Symptom aller tiefsitzenden Probleme.