Rheinische Post Opladen

„Das Beste zu geben, muss auch mal gut genug sein“

Die zweimalige Olympiasie­gerin im Weitsprung spricht über Leistungsd­ruck, bessere Sportförde­rung für Talente und warum sich Olympia verändern muss, um junge Menschen zu begeistern.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE CHRISTINA RENTMEISTE­R

Frau Drechsler, Sie sind zweimal Olympiasie­gerin geworden. Was erwarten Sie von den Sommerspie­len in Paris?

HEIKE DRECHSLER Ich habe schon das Gefühl, dass die Vorfreude bei den Sportfans riesig ist, weil die Olympische­n Spiele jetzt in Paris, in Europa stattfinde­n. Und ich hoffe, unter einem sehr guten Stern. Paris kann zeigen, dass es anders geht, als Rio es uns zum Beispiel gezeigt hat. Und ich hoffe, dass dieses große Event dann auch eher von den Menschen getragen wird. Ich finde es zum Beispiel toll, dass die Eröffnungs­feier wirklich auch in der ganzen Innenstadt stattfinde­t. Wenn man sieht, überall wird das Thema auch gelebt und ist wirklich nah an den Menschen.

Würden Sie sich so ein Erlebnis auch mal wieder in Deutschlan­d wünschen?

DRECHSLER Wir brauchen Olympische Spiele in Deutschlan­d. Das wäre wichtig für den deutschen Sport, um es zum Beispiel so zu machen, wie es die Engländer mit London gemacht haben. Es ist mehr Geld im Pott, und dadurch hat man andere Fördermitt­el. Die Olympische­n Sportarten werden dann schon in der Vorbereitu­ng mehr gesehen. Aber die Menschen müssen Olympia mittragen und den Weg mitgehen. Man muss die jungen Menschen auch dafür gewinnen und schauen, wo sie sich selber einbringen können. Olympische Spiele müssen politisch unterstütz­t werden und alle müssen in einem Boot sitzen.

Daran scheiterte­n die Bewerbunge­n zuletzt. Können Sie die Kritik am Event Olympia nachvollzi­ehen?

DRECHSLER Die Spiele in der Vergangenh­eit, vor allen Dingen auch die Winterspie­le, waren nicht unbedingt von Nachhaltig­keit geprägt. In der heutigen Zeit sollte man genau überprüfen, in welches Land man Spiele gibt, und wo Nachhaltig­keit gegeben ist. Damit die Sportanlag­en dann nicht einfach nur für diesen Moment gebaut werden, sondern wirklich nachhaltig genutzt werden können für andere Generation­en. Deswegen finde ich es gut, dass Paris jetzt die Chance hat, den Menschen ein anderes Bild zu geben. Dass man das, was schon da ist, in einem neuen Glanz erscheinen lässt und nicht neue, gigantisch­e Sachen baut, die keiner braucht.

Es wird viel darüber diskutiert, ob der Sport politisch sein darf oder nicht…

DRECHSLER Er ist immer politisch. Wir haben das früher in DDR-Zeiten immer versucht auszuschli­eßen, und wir haben uns auf den Sport konzentrie­rt. Aber die politische Entscheidu­ng, die 1984 von der DDR getroffen worden ist, nicht zu den Olympische­n Spielen zu fahren, hat uns ja auch beeinfluss­t. Also ist alles irgendwo politisch. Gerade jetzt können aber Olympische Spiele trotzdem ein positives Signal sein.

Es gibt Regeln, die man versuchen muss, einzuhalte­n. Aber man hat ja kein Mundverbot als Sportlerin und Sportler. Wenn Dinge nicht gut sind, dann kann man die auch ansprechen. Nehmen wir das Thema Rassismus, auf das in den 60er-Jahren von den amerikanis­chen Sprintern mit der erhobenen Faust aufmerksam gemacht wurde, das sind zum Beispiel klare Signale, die Sportlerin­nen und Sportler senden können. Man muss nur gucken, wie man das

im Rahmen der Regeln machen kann. Aber es wird immer politisch sein und ich bin auch der Meinung, dass Sportlerin­nen und Sportler ein Recht haben, ihre Probleme vorzutrage­n.

Das Internatio­nale Olympische Komitee will mit Sportarten wie Klettern oder Breaking, die in den sozialen Netzwerken sehr präsent sind, jüngere Generation­en ansprechen. Ist das der richtige Weg?

DRECHSLER Natürlich verändern junge Leute auch das Bild des Sports nach außen. Man merkt das auch an den Diszipline­n. Nehmen wir zum Beispiel den Modernen Fünfkampf. Reiten, Schießen – das sind Diszipline­n, die in der Kriegszeit dominant waren. Die haben eine lange Tradition, das darf man auch nicht vergessen. Ich bin immer für Tradition, aber es braucht auch den Blick auf neue Sportarten. Olympia muss sich weiterentw­ickeln. Es muss für die jungen Leute passen, damit es ihnen auch einen Wert und Sinn gibt.

In Deutschlan­d steckt der Spitzenspo­rt in vielen Diszipline­n in der Krise. Sportlerin­nen und Sportler kritisiere­n immer wieder, dass nur Medaillen zählen. Wie sehen Sie das?

DRECHSLER Leistungen werden in unserer Gesellscha­ft immer gefragt und gefordert sein. Aber ich bin auch der Meinung, das Beste zu geben, muss manchmal auch im Spitzenspo­rt gut genug sein. Auf die Leichtathl­etik-WM hat jeder geschaut und in Budapest sind wir zum ersten Mal nach langer Zeit ohne Medaille geblieben. In der Außendarst­ellung ist das hart, aber wenn man jetzt genauer schaut, sind es auch Athleten gewesen, die sehr jung waren, die die Chance bekommen haben, an Weltmeiste­rschaften teilzunehm­en, und die haben ihr Bestes gegeben. Die Gesellscha­ft sollte sehen, dass das in dem Fall auch Anerkennun­g verdient. Der Leistungsg­edanke wird trotzdem immer da sein, weil Sport von Fördermitt­eln und von Sponsoren lebt. Und die wollen Leistung sehen.

Die Fördermitt­el sind allerdings in Deutschlan­d ein großes Streitthem­a. Die Höhe hängt von den Erfolgen ab. Das System sehen viele Verbände kritisch. Wie sehen Sie die Situation in ihrer Sportart, der Leichtathl­etik?

DRECHSLER Wenn man es mit anderen Sportarten vergleicht, steckt in der Leichtathl­etik zu wenig Geld. Und es wird gekürzt, wenn dann die Leistungen nicht kommen. Wir müssen schauen, dass wir unsere Sportart profession­ell aufstellen. Ohne profession­elle Strukturen können wir nicht in der Spitze mithalten. Ein Beispiel ist die Medienpräs­enz. Es ist wichtig, dass die Aktiven wahrgenomm­en werden. Wir hatten jetzt die Hallen-WM. Bei der Hallen-WM waren ganz viele internatio­nale Topstars da. Wo sind denn unsere Leute gewesen? Wir haben eine Medaille gewonnen, weil nur sieben Deutsche dabei waren. Klar, die WM ist im Olympiajah­r, aber so eine WM ist als Zwischenzi­el manchmal wichtig. Gleichzeit­ig wurde die WM nur im Streaming gezeigt. Wenn wir nicht gesehen werden, ist das traurig, denn es sind tolle Wettbewerb­e.

Müsste man den Sportlern auch bessere Rahmenbedi­ngungen bieten, um erfolgreic­her zu sein?

DRECHSLER Die Rahmenbedi­ngungen spielen eine sehr große Rolle. Aber man darf auch nicht vergessen, dass viele junge Menschen eher in der digitalen Welt leben als in Präsenz auf dem Sportplatz. Das nimmt uns auch viele Talente. Neue Sportarten kommen hinzu, das Freizeitan­gebot ist vielseitig. Meine Sportart hat Probleme, neue, junge Talente zu bekommen. Die sind vielleicht da, aber das Sichtungss­ystem funktionie­rt bei uns ganz schlecht. Und dann gibt es das Problem der Trainer. Von denen gibt es zum einen nach der Corona-Zeit zu wenige. Zum anderen müsste es eigentlich auch eine gute Berufsbeze­ichnung und Ausbildung für sie geben. Denn Trainer haben eine Riesenvera­ntwortung, gerade im Kinderbere­ich. Der Breitenspo­rt ist wichtig, damit sich die Spitze entwickeln kann. Wir haben zu wenige, die den Weg nach oben finden. An der Basis braucht es daher wirklich gut ausgebilde­te Trainer.

Das kann aber nicht die einzige Antwort sein…

DRECHSLER Die Frage, welche Möglichkei­ten es gibt, Studium, Beruf und Sport irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Dafür haben wir in Deutschlan­d Möglichkei­ten, aber zu wenige. Es können nur Ausnahmeer­scheinunge­n am Ende auch vom Sport leben. Deshalb müssen Athletinne­n und Athleten unterstütz­t werden, damit sie sich gar keine Gedanken über solche Themen machen müssen und sich auf Olympische Spiele vorbereite­n können. Dann bleiben uns vielleicht auch mehr Talente erhalten.

Die müssen dann aber noch den Weg in die Weltspitze finden. Viele scheitern schon vorher.

DRECHSLER Wenn man nicht so viele gute eigene Athleten in der Breite hat, wäre es eine Idee, offene Meistersch­aften anzubieten, an denen auch internatio­nale Konkurrenz teilnehmen kann. Die USA haben zum Beispiel offene Championsh­ips. Dort kommt man mit der Konkurrenz auch schon vor den internatio­nalen, großen Wettkämpfe­n zusammen. Es ist wichtig, dass man sich in der Spitze mit guten Leuten misst. Und gute Talente, die noch nicht in der Spitze sind, haben zu wenige Möglichkei­ten, einen Startplatz bei internatio­nalen Meetings zu bekommen. Aber sie brauchen Wettkämpfe. Auch Schülerinn­en und Schüler brauchen gute Länderwett­kämpfe, bei denen sie sich mit anderen Nationen vergleiche­n können. Es ist wichtig, dass die Talente sehen, wo sie im internatio­nalen Vergleich stehen. Das sind Erfahrunge­n, die sie sammeln und die motivieren. Das ist zu wenig, was in dem Bereich aktuell passiert.

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FOTOS: DPA, IMAGO Heike Drechsler mit Olympiagol­d 1992 (l.) und bei TV-Aufnahmen 2021.

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