Als alle Hippies sein wollten
Der langjährige RP-Redakteur Robert Peters hat einen intimen Roman über seine Jugend in den 1970er-Jahren geschrieben.
So war auch unsere Jugend – und das ist aus uns geworden! Heute Rentner, in der Jugendzeit Revoluzzer und Möchtegern-Hippies: Robert Peters, der ehemalige Sportchef der Rheinischen Post, promovierter Germanist und Soziologe, trifft in seinem Roman „Sommer 1971 – Soundtrack einer Kleinstadt-Jugend“exakt den Ton der Babyboomer-Generation. Die Musik der 1970er-Jahre, die auch die Revolte gegenüber der Generation der Eltern bestimmte, ist der Klang, mit dem die heutigen Rentner ihre Jugendzeit verbinden – und auch verklären. „Das tue ich auch“, gibt Peters zu. Doch er beschreibt sich selbst, in dem Fall über die Romanfigur des Reginald, mit schonungsloser Offenheit: „Ich habe nie richtig dazugehört, ich war zu jung und hatte die falsche Kleidung.“
Treffpunkt der 70er-Jugend ist eine Wiese am Trafohäuschen, die an das Freibad der niederrheinischen Stadt Goch angrenzt. Im Freibad selbst „regiert“der allgewaltige Bademeister mit dem dicken Bauch über den weißen Shorts und der Trillerpfeife. Er erwischt die Jugend dort mit ihren ersten Zigaretten, während sich sein Vize-Schwimmmeister verdient macht, die Rücken der „Hausfrauen mit den bunten Blumenbadekappen“mit Sonnenmilch einzureiben: Solch bildhafte Schilderungen zeigen seinen Humor und zugleich die Gabe, dem Leser seine Romanfiguren nahezubringen.
Zwölf Charaktere schildert Peters in seinem Roman, fünf davon sind bereits gestorben: Die Nähe zu Holland und der leichte Zugang zu Drogen wird ihnen zum Verhängnis. Wieder andere aus der heterogenen Gruppe haben sich aus den Träumen ihrer Jugend, der mehr oder weniger ausgelebten Revolte, entwickelt zu geerdeten Persönlichkeiten. Diese Entwicklungsgeschichte, die grandiose Schilderung der Jugendkultur der 70er-Jahre hat sich so – wenn auch dichterisch verfremdet – zwar in Goch zugetragen. Aber Goch war überall in diesen Jahren, als „wir alle Hippies sein wollten“, wie Peters schreibt.
Da sind die Älteren in der Gruppe, die von den Jüngeren angehimmelt und nachgeahmt werden. Die Älteren tragen die „richtigen“Jeans, bunte Westen, sie haben lange Haare mit Mittelscheitel und lassen Strähnen ins Gesicht fallen, wenn sie im Schneidersitz auf dem Boden hocken. Reginald trägt die „falschen Jeans“und muss sonntags noch mit Bügelfaltenhose in die katholische Kirche gehen. „Lange Haare durfte ich auch nicht haben“, erinnert sich Peters: „Ich habe mir die kurzen Fransen immer versucht, über die Ohren zu ziehen, wenn ich zu unserem Treffpunkt ging.“Doch eines verbindet die unterschiedlichen Jugendlichen: „Die stärkste Klammer ist die Musik... in der Hoffnung, einen entscheidenden Schritt aus den festen Fügungen zu
tun, aus vorbestimmten Bahnen, hinein ins Bunte, Freie, jedenfalls Neue“, schreibt er.
Der Leser hört regelrecht die Songs, die nach Woodstock die Welt eroberten. So wie die Jugend vom Trafohäuschen kennen die heutigen Rentner die Texte, haben vielleicht Vorbilder aus dieser Zeit. So sind Mick Jagger, Jim Morrison oder Jimi Hendrix die Idole der Jungen. „Und die Mädchen wollten alle Janis Joplin sein“, erinnert sich Peters. Doch manche passen sich ihren Vorbildern gefährlich nahe an und werden bald zu Opfern ihres harten Drogenkonsums. Peters erhebt nicht den Zeigefinger, schreibt empathisch und mit sehr viel Tiefgang.
Reginalds „Revolution“besteht darin, im Unterricht eine Stunde lang eine bunte, von seiner Mutter gehäkelte Kappe zu tragen. Mit dem Käppchen wollte er dem Percussionisten von Santana ähneln. Aber als er zum Rektor gerufen wird, verschwindet das „revolutionäre Objekt“ganz schnell wieder. Allerdings beteiligt sich Peters später an der Besetzung eines leer stehenden Hofes, um dort ein Jugendzentrum einzurichten – ein Gemeinschaftserlebnis, das ihn bis heute beeindruckt. Wochen später wird der Hof abgerissen. Ein Jugendtraum zerplatzt. Das war auch das Ende der Gruppe vom Trafohäuschen.
Über Politik, Rudi Dutschke, die Demonstrationen in Berlin, die RAF oder Che Guevara sprechen die Jugendlichen zwar hin und wieder. Und einige lassen auch den „Experten“heraushängen. Doch so richtig Ahnung hat keiner in der Gruppe, sie tun so, als ob. „Und wir Jüngeren waren beeindruckt“, erinnert sich Peters. Natürlich gehört auch das rote Büchlein, die „Mao-Bibel“, dazu, „die aber wohl keiner aus der Gruppe gelesen hat. Wir hätten sie auch nicht verstanden.“Die 70er-Jugend wird auch in der Zeit der Friedensdemos groß: „Das hinderte uns aber nicht daran, Armeeparkas, sogar mit Einschusslöchern, zu tragen“, zeigt Peters die Widersprüche auf.
1971 ist auch der Sommer der ersten Liebe. Während die Jüngeren beim Anschauen der UnterwäscheReklame in Katalogen ihre feuchten Träume nähren, tun sich die Älteren im „Dauerknutschen“vor der Gruppe hervor: „Das Längste waren 20 Minuten Knutschen, die wir mit der Stoppuhr gemessen haben. Und dabei mussten die Augen geschlossen bleiben, sonst musste das Paar von vorne anfangen“, erzählt Peters.
Reginald beobachtet alles dies und die anderen um sich herum durch seine dicken Brillengläser ganz genau. Er fühlt sich zwar einsam, weil er nie so richtig dazugehört, aber er studiert die Menschen in seiner Umgebung. Seine Lebenserfahrung befähigt den 66-Jährigen zu einer auch psychologisch-soziologischen Analyse, die sich zwar in großen Teilen unterhaltsam liest, aber zugleich nachdenklich stimmt: „Was ist aus unseren Träumen geworden?“
Peters zieht Bilanz: „Wir haben alle unsere Pflicht erfüllt, nach einem ungeschriebenen Drehbuch und möglicherweise an unsichtbaren Fäden.“Und der heimatverbundene Schriftsteller sagt: „Manchmal denke ich an diesen kurzen Sommer und wünsche mir, dass die Energie immer noch abstrahlt von diesem Ort.“Er meint damit die gemeinsamen (Jugend-)Träume, die Menschen und den Ort seiner eigenen Entwicklung und natürlich die Musik als das verbindende Element.
Nachdem schon der erste Roman von Peters, „Ich war doch nur ein Schmied“, nun auch das neue Buch in seiner Heimat spielen, plant er ein drittes Werk mit der Hintergrundhandlung in Goch. Zunächst aber stellt er seinen zweiten Roman, vielleicht auf einer Lesereise, vor.