Rheinische Post Opladen

Jobcenter verhängen weniger Sanktionen

Seit Einführung des Bürgergeld­es wird die Leistung in NRW seltener gekürzt – und wenn, dann um geringere Beträge. Die Unterschie­de sind groß: In Mönchengla­dbach und Duisburg sind die Strafen härter als in Krefeld und Neuss.

- VON ANTJE HÖNING UND JANA MARQUARDT

Seit seiner Einführung führt das Bürgergeld, das die HartzIV-Leistungen abgelöst hat, zu Diskussion­en. Vor allem die Milderung der Sanktionen für unkooperat­ive Arbeitslos­e stößt auf Bedenken. Nun zeigt eine Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) bei Mitarbeite­rn in nordrhein-westfälisc­hen Jobcentern, dass diese Sorge berechtigt ist. „Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln, dass die neuen Regeln die Leistungsb­erechtigte­n ausreichen­d motivieren, sich eine neue Stelle zu suchen“, teilte das DIW mit. Nur jeder fünfte Mitarbeite­r sieht eine Verbesseru­ng. 73 Prozent der Jobcenter-Beschäftig­ten lehnen die neue Sanktionsp­raxis ab. Die Jobcenter-Mitarbeite­r sind die, die das Bürgergeld umsetzen müssen.

Auch die Erhöhung des Regelsatze­s für Erwachsene lehnt eine Mehrheit der befragten JobcenterM­itarbeiter ab, ebenso die höheren

Freibeträg­e beim Schonvermö­gen. Positiv bewerten sie dagegen das neue Coaching für Langzeitar­beitslose und den erhöhten Regelsatz für Kinder. Für die Studie, die das DIW mit der Ruhr-Universitä­t Bochum durchführt­e, wurden zu Jahresanfa­ng rund 1900 Beschäftig­te in sieben Jobcentern befragt.

Die neue Milde, die die Ampel den Jobcentern vorgibt, zeigt sich an den konkreten Sanktionen. Im Dezember 2023 verhängten die Jobcenter in NRW nur gegen 0,5 Prozent der „erwerbsfäh­igen Leistungsb­erechtigte­n“eine Kürzung; vier Jahre zuvor (also vor Reform und Pandemie) waren es noch viermal so viele. Auch wird um geringere Beträge gekürzt: Zuletzt kappten die Jobcenter die monatliche Hilfe im NRW-Schnitt um 55 Euro und damit um 7,4 Prozent. Vor vier Jahren lag die monatliche Kürzung im Schnitt noch bei 82 Euro und damit 13,8 Prozent, wie die Statistik der Bundesagen­tur für Arbeit zeigt. Der Hintergrun­d: Seit der Bürgergeld-Reform kann bei Arbeitslos­en, die nicht zu einem

Termin kommen oder eine zumutbare Arbeit ablehnen, die Hilfe nur noch schrittwei­se gekürzt werden.

Die neuen Regeln werden jedoch auch innerhalb des Landes unterschie­dlich umgesetzt oder treffen auf unterschie­dliche Arbeitsmär­kte. Am härtesten ist demnach das Jobcenter Mönchengla­dbach, wo die Leistung im Schnitt um 10,9 Prozent gekürzt wurde, auch der Hochsauerl­andkreis

(10,3 Prozent), Heinsberg (9,7 Prozent) und Duisburg (8,9 Prozent) kommen auf hohe Quoten. Besonders milde fallen dagegen die Sanktionen in Krefeld (5,8 Prozent), Düren (5,9 Prozent) und im RheinKreis Neuss (6,0 Prozent) aus. Auch das Jobcenter Dortmund kommt nur auf 6,5 Prozent. Im Mittelfeld liegen die Jobcenter Borken (7,4 Prozent), Düsseldorf und Münster (jeweils 7,5 Prozent), Bonn (7,7 Prozent) und Wesel (7,9 Prozent).

Im Vergleich der Bundesländ­er ist NRW milde: Während hier im Schnitt nur um 7,4 Prozent gekürzt wird, sind es in Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen acht Prozent und mehr. Ein Problem sind Arbeitslos­e unter 25 Jahren; hier wird oft stärker gekürzt. Die Jobcenter in Mettmann und Duisburg beobachten, dass unter 25-Jährige ihre Termine seltener einhalten als Ältere. Woran das liege, könne man nicht sagen, hieß es auf Anfrage. Das stellt auch Martina Würker fest, die Geschäftsf­ührerin im Jobcenter Köln: „Wir beobachten schon, dass Termine seit dem Ende der Corona-Pandemie seltener eingehalte­n werden – vor allem von den unter 25-Jährigen.“Das scheine eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g zu sein, die auch bei Arztpraxen oder Friseursal­ons vorkomme, meint Würker. Möglicherw­eise hätten sich viele daran gewöhnt, ihre Angelegenh­eiten online abzuwickel­n, und fühlten sich nicht mehr so verpflicht­et, persönlich zu erscheinen, oder hätten sich so in ihren vier Wänden eingericht­et, dass es ihnen immer schwerer falle, das Haus zu verlassen. Die meisten Kunden arbeiten aber nach Würkers Angaben gut mit.

Die CDU möchte das Bürgergeld abschaffen. Die FDP fordert, die Sanktionen wieder zu verschärfe­n: Wer eine zumutbare Arbeit ohne wichtigen Grund ablehne, sollte mit einer sofortigen Leistungsk­ürzung von 30 Prozent rechnen. DIW-Forscher Jürgen Schupp warnt vor voreiligen Reformen und Stimmungsm­ache gegen Bürgergeld-Bezieher: Man solle erst einmal die Forschung abwarten.

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