Jobcenter verhängen weniger Sanktionen
Seit Einführung des Bürgergeldes wird die Leistung in NRW seltener gekürzt – und wenn, dann um geringere Beträge. Die Unterschiede sind groß: In Mönchengladbach und Duisburg sind die Strafen härter als in Krefeld und Neuss.
Seit seiner Einführung führt das Bürgergeld, das die HartzIV-Leistungen abgelöst hat, zu Diskussionen. Vor allem die Milderung der Sanktionen für unkooperative Arbeitslose stößt auf Bedenken. Nun zeigt eine Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bei Mitarbeitern in nordrhein-westfälischen Jobcentern, dass diese Sorge berechtigt ist. „Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln, dass die neuen Regeln die Leistungsberechtigten ausreichend motivieren, sich eine neue Stelle zu suchen“, teilte das DIW mit. Nur jeder fünfte Mitarbeiter sieht eine Verbesserung. 73 Prozent der Jobcenter-Beschäftigten lehnen die neue Sanktionspraxis ab. Die Jobcenter-Mitarbeiter sind die, die das Bürgergeld umsetzen müssen.
Auch die Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene lehnt eine Mehrheit der befragten JobcenterMitarbeiter ab, ebenso die höheren
Freibeträge beim Schonvermögen. Positiv bewerten sie dagegen das neue Coaching für Langzeitarbeitslose und den erhöhten Regelsatz für Kinder. Für die Studie, die das DIW mit der Ruhr-Universität Bochum durchführte, wurden zu Jahresanfang rund 1900 Beschäftigte in sieben Jobcentern befragt.
Die neue Milde, die die Ampel den Jobcentern vorgibt, zeigt sich an den konkreten Sanktionen. Im Dezember 2023 verhängten die Jobcenter in NRW nur gegen 0,5 Prozent der „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“eine Kürzung; vier Jahre zuvor (also vor Reform und Pandemie) waren es noch viermal so viele. Auch wird um geringere Beträge gekürzt: Zuletzt kappten die Jobcenter die monatliche Hilfe im NRW-Schnitt um 55 Euro und damit um 7,4 Prozent. Vor vier Jahren lag die monatliche Kürzung im Schnitt noch bei 82 Euro und damit 13,8 Prozent, wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt. Der Hintergrund: Seit der Bürgergeld-Reform kann bei Arbeitslosen, die nicht zu einem
Termin kommen oder eine zumutbare Arbeit ablehnen, die Hilfe nur noch schrittweise gekürzt werden.
Die neuen Regeln werden jedoch auch innerhalb des Landes unterschiedlich umgesetzt oder treffen auf unterschiedliche Arbeitsmärkte. Am härtesten ist demnach das Jobcenter Mönchengladbach, wo die Leistung im Schnitt um 10,9 Prozent gekürzt wurde, auch der Hochsauerlandkreis
(10,3 Prozent), Heinsberg (9,7 Prozent) und Duisburg (8,9 Prozent) kommen auf hohe Quoten. Besonders milde fallen dagegen die Sanktionen in Krefeld (5,8 Prozent), Düren (5,9 Prozent) und im RheinKreis Neuss (6,0 Prozent) aus. Auch das Jobcenter Dortmund kommt nur auf 6,5 Prozent. Im Mittelfeld liegen die Jobcenter Borken (7,4 Prozent), Düsseldorf und Münster (jeweils 7,5 Prozent), Bonn (7,7 Prozent) und Wesel (7,9 Prozent).
Im Vergleich der Bundesländer ist NRW milde: Während hier im Schnitt nur um 7,4 Prozent gekürzt wird, sind es in Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen acht Prozent und mehr. Ein Problem sind Arbeitslose unter 25 Jahren; hier wird oft stärker gekürzt. Die Jobcenter in Mettmann und Duisburg beobachten, dass unter 25-Jährige ihre Termine seltener einhalten als Ältere. Woran das liege, könne man nicht sagen, hieß es auf Anfrage. Das stellt auch Martina Würker fest, die Geschäftsführerin im Jobcenter Köln: „Wir beobachten schon, dass Termine seit dem Ende der Corona-Pandemie seltener eingehalten werden – vor allem von den unter 25-Jährigen.“Das scheine eine gesellschaftliche Entwicklung zu sein, die auch bei Arztpraxen oder Friseursalons vorkomme, meint Würker. Möglicherweise hätten sich viele daran gewöhnt, ihre Angelegenheiten online abzuwickeln, und fühlten sich nicht mehr so verpflichtet, persönlich zu erscheinen, oder hätten sich so in ihren vier Wänden eingerichtet, dass es ihnen immer schwerer falle, das Haus zu verlassen. Die meisten Kunden arbeiten aber nach Würkers Angaben gut mit.
Die CDU möchte das Bürgergeld abschaffen. Die FDP fordert, die Sanktionen wieder zu verschärfen: Wer eine zumutbare Arbeit ohne wichtigen Grund ablehne, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen. DIW-Forscher Jürgen Schupp warnt vor voreiligen Reformen und Stimmungsmache gegen Bürgergeld-Bezieher: Man solle erst einmal die Forschung abwarten.