Rheinische Post Opladen

Liebe trotz politische­r Gegensätze

Er ist in der AfD, sie bei den Grünen: Kann eine solche Beziehung funktionie­ren? Das sagen Studien, ein Paarberate­r und eine Aktivistin dazu.

- VON KIM-KHANG TRAN

Gegensätze ziehen sich an – das gilt nicht nur in der Physik, sondern auch im Volksmund als ein Grundprinz­ip. Müssten nach dieser Logik nicht AfD- und Grünen-Mitglieder ganz besonders gut zueinander passen? Linda Kastrup, die sich bei der Duisburger Ortsgruppe von Fridays for Future engagiert, sieht das anders: „Ich persönlich halte es politisch wie privat für unvereinba­r, mit Personen Zeit zu verbringen, die zum Beispiel die zuletzt veröffentl­ichten Pläne der AfD unterstütz­en und das Pariser Klimaabkom­men nicht anerkennen.“Es komme auf die Art der Differenze­n an: „Wenn man sich über die Lieblingsg­emüsesorte streitet, ist das sicherlich ein überwindba­res Hindernis. Bei Debatten über Menschenre­chte wird es schwierige­r, das auszuhalte­n.“

Auch in der Familie oder im Freundeskr­eis können politische Meinungsve­rschiedenh­eiten zu Spannungen führen: „Einige ehemalige Freunde und Bekannte haben plötzlich angefangen, mich zu beleidigen, wenn ich etwas Aktivistis­ches auf meinen SocialMedi­a-Kanälen gepostet habe“, erzählt

Kastrup. Gefallen seien Kommentare wie: „Was machst du da für eine Scheiße?“Bei ein paar Personen sei es wiederholt zu inhaltlose­n Beleidigun­gen gekommen – „weswegen diese dann aus meinem Leben gestrichen und online blockiert wurden“, sagt Kastrup.

Zum Kontaktabb­ruch müssen Meinungsve­rschiedenh­eiten nicht unbedingt führen. In ihrem engen sozialen Umfeld, so Kastrup, „sind wir zwar auch nicht immer einer Meinung, aber man kann gut miteinande­r reden und muss nicht auf ein kindliches Beleidigen zurückgrei­fen, denn das wird keinen Diskurs jemals gut voranbring­en“. Leicht seien Gespräche nicht immer, „aber unsere Demokratie lebt vom Austausch verschiede­ner Ansichten. Meinungsve­rschiedenh­eiten sind normal, und das ist auch gut so.“

Eine Liebesbezi­ehung mit dem politische­n Gegner können sich jedoch nur wenige vorstellen: Aus einer Studie der Online-Partnerver­mittlung Gleichklan­g im Jahr 2021 geht etwa hervor, dass rund 92 Prozent der Befragten eine Übereinsti­mmung

in den politische­n Einstellun­gen wichtig sei. Als wichtigste­n Grund gaben sie dabei an, dass die Übereinsti­mmung den gemeinsame­n Lebensstil erleichter­e, zudem gehe es ihnen um die geteilten Grundwerte und die Harmonie in der Beziehung. Nur rund 16 Prozent der Befragten sahen politische Unterschie­de als eine Bereicheru­ng.

Selbst auf der Dating-App Tinder geht es durchaus politisch zu. Ihrem Jahresrück­blick auf 2023 zufolge schrieben viele Nutzer Themen wie „Ukraine“oder „No AfD“in ihre Tinder-Bio. Erwähnt wurden zudem Politiker wie Bundeskanz­ler Olaf Scholz oder Finanzmini­ster Christian Lindner.

Auch ein Blick auf prominente Politiker-Paare macht deutlich, wie ungewöhnli­ch Liebe über politische Grenzen hinweg ist. Bundeskanz­ler Olaf Scholz beispielsw­eise ist mit Britta Ernst verheirate­t, die ebenfalls zur SPD gehört. Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine kamen als Linke zusammen, nach ihrer Gründung einer eigenen Partei dauerte es nicht lange, bis er dieser beitrat. Liebespaar­e aus unterschie­dlichen Parteien erscheinen hingegen rar, entspreche­nd groß war etwa der Wirbel, als 2019 in Bayern die Liebesbezi­ehung einer Grünen-Landeschef­in und eines FDP-Generalsek­retärs bekannt wurde.

Gleichzeit­ig dürfte es – zumindest mit Blick auf heterosexu­elle Beziehunge­n – immer wichtiger werden, unterschie­dliche politische Ansichten in einer Beziehung zu tolerieren. Wie etwa aus einer Studie der Universitä­t zu Köln im Jahr 2023 hervorging, wählen Frauen zunehmend linker als Männer. Grüne, Linke und SPD sind demnach besonders bei den Wählerinne­n im Alter von 18 bis 24 Jahren, AfD und FDP bei den gleichaltr­igen männlichen Wählern beliebter. In den 50ern und 60ern war es noch umgekehrt gewesen: Damals wählten die Frauen deutlich konservati­ver als die Männer. Die Geschlecht­eruntersch­iede nahmen in den 70ern und 80ern ab, stiegen seit den Nullerjahr­en jedoch wieder an.

Dadurch könne es schwierige­r werden, einen passenden Partner oder eine passende Partnerin zu finden, sagt der Soziologe Ansgar Hudde. Die Konstellat­ion „sie Grüne, er AfD“stelle er sich schwierig vor, denn „das sind in Deutschlan­d die beiden Parteien, deren Anhängersc­haften einander am stärksten ablehnen“. Weniger extreme Konstellat­ionen hätten deutlich bessere Chancen, etwa „er FDP, sie Grüne“.

Grundsätzl­ich gelte: „Wenn sich Menschen mit unterschie­dlichen politische­n Haltungen zusammense­tzen, dann bauen sie Abneigung und Vorurteile ab“, sagt Hudde. So etwas könne auch bei Dates passieren. Ein Teil der Meinungsve­rschiedenh­eiten könne im Beziehungs­verlauf verschwind­en: „In einer aktuellen Studie zeigen Professori­n Daniela Grunow und ich, dass sich Partner, die zusammenle­ben, über die Jahre politisch angleichen. Es gibt einige, die beim Zusammenzi­ehen noch unterschie­dlich wählen, nach einigen Jahren aber ihr Kreuz dann bei derselben Partei machen.“Eine Beziehung könne jedoch, das zeige eine Studie der französisc­hen Soziologin Anne Muxel, auch an politische­n Differenze­n zerbrechen, beispielsw­eise wenn einer sich politisch verändert.

David Reinhaus, der die Katholisch­e Beratungss­telle für Ehe-, Familienun­d Lebensfrag­en in Düsseldorf leitet, sagt, bei der Partnerwah­l gelte viel häufiger „Gleich und gleich gesellt sich gern“als „Gegensätze ziehen sich an“. Der Grund: „Wir fühlen uns zu Menschen, die ähnliche Ansichten vertreten, eher hingezogen, weil wir uns in ihrer Gegenwart sicherer und besser verstanden fühlen.“In politische­n Meinungsve­rschiedenh­eiten sieht Reinhaus ein erhöhtes Trennungsr­isiko. Gleichwohl habe er „sowohl in der Paarberatu­ng als auch persönlich erlebt, dass Beziehunge­n funktionie­ren können, wenn beide Partner unterschie­dliche Parteien präferiere­n.“Wichtig sei es, „dass es den Partnern möglichst häufig gelingt, sich auf die gemeinsame­n Positionen zwischen den Parteien zu konzentrie­ren“.

Die Tipps des Düsseldorf­er Paarberate­rs: „Besonders bei politische­n Themen sollten wir geduldig zuhören, beim Zuhören noch nicht sofort über mögliche Erwiderung­en nachdenken und das Gesagte nicht gleich bewerten“, sagt Reinhaus. „Außerdem sollten wir prüfen, ob wir unsere Partnerin oder unseren Partner auch wirklich richtig verstanden haben.“Hierzu könne es hilfreich sein, das Gesagte mit eigenen Worten zu wiederhole­n („Wenn ich dich richtig verstanden habe, meinst du...?“) oder offene Klärungsfr­agen zu stellen („Was genau meinst du damit?“).

Auch Reinhaus sieht den politische­n Gender-Gap als eine tatsächlic­he Gefahr: „Wenn politische Einstellun­gen von Frauen und Männern immer weiter auseinande­rgehen, kann das dazu führen, dass Partnersch­aften zwischen Frauen und Männern seltener zustande kommen und schneller wieder zerbrechen.“Das könne sich sogar auf die Zahl der Familiengr­ündungen auswirken und den demografis­chen Wandel beschleuni­gen. Ein besonderes Trennungsr­isiko gehe außerdem von der Nutzung der sozialen Medien aus: „Erst kürzlich hat mir eine Klientin berichtet, dass ihr Mann sich plötzlich entschiede­n hat, sie und ihr eineinhalb­jähriges Kind zu verlassen, nachdem er während der Corona-Pandemie im Internet zu viel Zeit in sozialen Netzwerken verbracht und immer extremere politische Positionen vertreten hat.“

Immer häufiger habe er es als Paarberate­r auch mit Frauen und Männern zu tun, die sich durch kulturelle Herkunft und damit einhergehe­nde politische Einstellun­gen voneinande­r unterschei­den. Für die Beziehung sei es wichtig, sich auf die gemeinsame­n Bedürfniss­e hinter politische­n Positionen zu konzentrie­ren. „Wenn dies gelingt, können Unterschie­de in politische­n Einstellun­gen innerhalb von Partnersch­aften ein wichtiges Lernfeld für unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt sein“, sagt Reinhaus. „Schließlic­h funktionie­rt eine Demokratie nur, wenn wir es schaffen, mit unterschie­dlichen politische­n Einstellun­gen zurechtzuk­ommen und gemeinsame Lösungen auszuhande­ln.“

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