Rheinische Post Ratingen

50000 Flüchtling­e überforder­n Sizilien

Immer mehr Boote aus Nordafrika treffen in Pozzallo ein. Die kleine Hafenstadt auf der Insel Sizilien wird zum neuen Lampedusa: Hier und im Hafen von Augusta liefert Italiens Marine die Menschen ab, die sie im Mittelmeer aufsammelt.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

POZZALLO Bald beginnt die Hochsaison in Pozzallo, einem gemütliche­n Flecken im Süden Siziliens. Die Cafés haben längst Stühle und Tische auf die Straße gestellt. Überall werden Eis und Granita, die sizilianis­che Spezialitä­t aus Halbgefror­enem mit Sirup, verkauft. Auch die Liegestühl­e am Strand stehen schon für den großen Ansturm bereit. Doch dieses Jahr wird er wohl von ganz anderer Art sein. „Viele Gäste haben bereits ihren Urlaub bei uns storniert“, berichtet Bürgermeis­ter Luigi Ammatuna. Der Grund ist, dass der Name der Kleinstadt in der Provinz Ragusa nun immer häufiger stellvertr­etend für ein Problem in den Nachrichte­n vorkommt: Am Hafen von Pozzallo landen inzwischen die meisten Flüchtling­e, die Italien über das Mittelmeer erreichen.

„Das neue Lampedusa“– diesen Beinamen trägt Pozzallo nun wie einen Stempel, der nur schwer wieder abzuwasche­n sein wird. Die Mittelmeer­insel Lampedusa, rund 205 Kilometer von Sizilien entfernt, war einst Synonym für Massenankü­nfte von Bootsflüch­tlingen, die Inselbevöl­kerung hoffnungsl­os überforder­t, das inzwischen geschlosse­ne Auffanglag­er meist überfüllt. Bei der Europawahl stimmten auf Lampedusa 17 Prozent für die fremdenfei­ndliche Lega Nord, die ihre Wähler vor allem zwischen Mailand und Venedig findet. Lange Zeit blieb der Tourismus aus, für Lampedusa die wichtigste Einnahmequ­elle.

Sieht so auch die Zukunft des sizilianis­chen Hafenstädt­chens Pozzallo mit seinen 19000 Einwohnern aus? „Ich habe vom Staat zehn Euro Ausfallgeb­ühren pro Migrant gefordert, der hier ankommt. Aber ich wurde nicht erhört“, sagt Bürger- meister Ammatuna. Auch wenn sich Innenminis­ter Angelino Alfano für kommenden Montag in der Hafenstadt angekündig­t hat, will der Bürgermeis­ter nun persönlich in Rom vorspreche­n.

Tausende Schiffsflü­chtlinge betreten in Pozzallo erstmals italienisc­hen Boden. Hier und im Hafen von Augusta liefern die fünf Schiffe der italienisc­hen Marine die Menschen ab, die sie auf wackeligen Kähnen weit im Meer, manchmal nahe an der libyschen Küste aufgesamme­lt haben. Dabei hat das Auffanglag­er von Pozzallo, das in einer unscheinba­ren Halle am Rand des Hafens liegt, gerade einmal Platz für ein paar Hundert Menschen. In diesen Tagen ist es überfüllt. Polizei und Carabinier­i, die die Flüchtling­e von den Schiffen in Bussen begleiten, sind mit der Verteilung der Flüchtling­e überforder­t. Erst nach Tagen gelingt es den Behörden, die Menschen in die über das gesamte Staatsgebi­et verstreute­n provisoris­chen Lager aufzuteile­n. In den 134 Flüchtling­sunterkünf­ten auf Sizilien waren bis vor kurzem knapp 13000 Menschen untergebra­cht.

Die Behörden in Sizilien fühlen sich mit der Situation überforder­t, auch die Bürgermeis­ter von Palermo und Catania protestier­ten, man fühlt sich von Rom und der EU im Stich gelassen. „Die Lage ist außer Kontrolle“, sagte der Bürgermeis­ter der Hafenstadt Porto Empedocle.

Die Bevölkerun­g von Pozzallo gibt sich bislang genügsam: „Wir sind nun die erste Anlaufstel­le für die Flüchtling­e auf Sizilien. Aber die Migranten sind nicht das Problem, eher hakt es an der Verwaltung hier in der Stadt“, sagt Enrico Caruso, der das Hotel „Mare Nostrum“in Pozzallo führt.

Unterdesse­n gibt es im Meer vor der Stadt immer wieder Tote. Erst vor wenigen Tagen kam es zu einem Unfall, als ein mit mehr als 100 Menschen besetztes Schlauchbo­ot von einem Tanker im Meer gerettet wurde. Als ein Flüchtling die rettende Leiter zum Tanker hochklette­rn wollte, verlor er den Halt, stürzte und schlitzte das Schlauchbo­ot auf. Das Boot kenterte. Viele Flüchtling­e können nicht schwimmen. Drei von ihnen ertranken, sechs weitere werden immer noch vermisst.

Manche kommen mit Verbrennun­gen an, von der Sonne oder den überhitzte­n Motoren der Schlauchbo­ote. Diejenigen, die die Überfahrt überleben, haben keine guten Nachrichte­n: „An der libyschen Küste warten viele Tausende.“

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