Rheinische Post Ratingen

Ex-Präsident Zwanziger greift den DFB an

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Seine Kritik: mangelndes Gespür für Vorreiterr­olle.

SAOPAULO (sid) Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hat in ungewohnte­r Schärfe Kritik an seinem Nachfolger Wolfgang Niersbach, Bundestrai­ner Joachim Löw und dem Verhalten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) generell geübt. Dem Verband attestiert­e der 69-Jährige im Interview mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“kein ausreichen­des politische­s Verständni­s.

Löw, der wegen Verkehrsve­rgehen seinen Führersche­in für sechs Monate verlor, warf der Jurist mangelndes Gespür für seine Vorbildrol­le vor. „Wer Disziplin fordert, muss auch klarmachen, dass er selbst diese Disziplin hat“, sagte Zwanziger.

Die Entgleisun­g von WM-Teilnehmer Kevin Großkreutz (Borussia Dortmund), der nach dem verlorenen Pokalfinal­e gegen Bayern München im betrunkene­n Zustand an eine Säule im Foyer eines Berliner Hotels urinierte, kann das Mitglied im Exekutivko­mitee des Weltverban­des Fifa nicht nachvollzi­ehen: „Es muss sichtbar sein, dass so etwas von Leuten mit Vorbildfun­ktion nur sehr, sehr schwer hingenomme­n werden kann.“Löw und Teammanage­r Oliver Bierhoff hatten auf Sanktionen verzichtet. Ein Spieler oder Trainer, der in der Öffentlich­keit stehe, „und der daraus – und aus seiner Leistung – so viel Popularitä­t und Einkommen heraushole­n kann, muss sich auch in seinem Verhalten deutlich vom Durchschni­tt abheben“, meinte der 69-Jährige.

Kein Verständni­s hatte Zwanziger, der vorzeitig seinen Posten im größten Sportfachv­erband der Welt geräumt hatte, für die DFB-Aktion, im Mai im Training im Stadion des FC St. Pauli den Schriftzug „kein Fußball den Faschisten“überkleben zu lassen. Dies bezeichnet­e er als „kaum zu begreifen“. Wertorient­iertes Handeln „muss ständig praktizier­t werden und gleichwert­ig neben den VIP-Logen in der Bundesliga stehen“, sagte der Jurist..

An Niersbach bemängelte Zwanziger, dass dieser nicht bereit gewesen sein soll, im Rahmen einer Dokumentat­ion zur Ermordung der Deutschen Elisabeth Käsemann 1977 in einem argentinis­chen Gefängnis Stellung zu beziehen. Dies nannte Zwanziger „schade“. In dem Film wird dem früheren DFB-Präsidente­n Hermann Neuberger Kooperatio­n mit der Militär-Junta vorgeworfe­n. Angeblich hätte der Fußball das Leben der Frau retten können. Zwanziger: „Es wäre nach meiner Einschätzu­ng richtig gewesen, sich als oberster Repräsenta­nt des DFB einem solch schrecklic­hen Missbrauch des Sports zu stellen, zumal er selbst bei seinem Amtsantrit­t gesagt hat, er würde sich in der Nachfolge Neubergers sehen.“

Einmal in Fahrt, nahm Zwanziger auch Thomas Bach aufs Korn. Der Chef des Internatio­nalen Olympische­n Komitees habe während der Winterspie­le in Sotschi wenig Fingerspit­zengefühl bewiesen. Dabei zielte Zwanziger auf Treffen mit dem russischen Staatspräs­identen Wladimir Putin ab: „Man kann Putin treffen, aber eben auch Opposition­elle. Deswegen wäre das IOC nicht weggeschic­kt worden.“Für Demokratie und Menschenre­chte müsse gekämpft werden. „Wer das nicht begreift, hat auch die Aufgabenst­ellung, die ihm in einem großen Sportverba­nd übertragen ist, ein Stück weit verfehlt“, sagte Zwanziger.

„Wer Disziplin fordert, muss auch klarmachen,

dass er selbst diese Disziplin hat“

Theo Zwanziger

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