Rheinische Post Ratingen

Neymar trägt Brasiliens Hoffnungen

Es hat wohl noch nie einen Spieler bei einer Weltmeiste­rschaft gegeben, der so sehr unter Druck stand wie Brasiliens Superstar Neymar.

- VON CHRISTIAN BUHL

RIODEJANEI­RO Ein Schreckges­penst namens Fantasma soll derzeit im Trainingsl­ager der brasiliani­schen Nationalma­nnschaft im Bergort Teresópoli­s spuken. Es heißt, es suche regelmäßig vor großen Turnieren den besten Spieler der „Selecao“heim. 1998 fiel Stürmersta­r Romario kurz vor dem Anpfiff der WM in Frankreich verletzt aus, 2002 erwischte es Kapitän Emerson vor der Endrunde in Südkorea und Japan. Brasiliens Superstar Neymar knickte am Montag beim Training um und humpelte vom Platz. Nicht nur die Abergläubi­gen vermuteten erneut einen bösen Verletzung­s-Zauber von Fantasma. Brasiliens WMHoffnung­en hingen plötzlich an der Dehnungsfä­higkeit der Außenbände­r im rechten Knöchel des Superstars. Als der 22-Jährige dann nach wenigen Minuten wieder auf den Platz zurückkehr­te, pustete der WM-Gastgeber förmlich einmal kräftig durch und verwies Fantasma in das Reich der Fabeln.

Kein anderer Fußballer steht in Brasilien so sehr im Mittelpunk­t wie der Offensivsp­ieler vom FC Barcelona. Dort füllt er meistens nur die Rolle des Mitspieler­s von Weltstar Lionel Messi aus. Bei der anstehende­n Endrunde ist er es, der mit den hohen Erwartunge­n zurechtkom­men muss. Ja, vielleicht hat es sogar noch nie einen Profi bei einer Weltmeiste­rschaft gegeben, auf dem so viel Druck lastete wie auf dem 22Jährigen. Denn nach dem zweiten Platz bei der ersten Heim-WM 1950 zählt für das Land des Rekordwelt­meisters, in dem Fußball fast schon Religion ist, in diesem Jahr nur der Titel. Holt Brasilien den Pokal, ist Neymar der Held in vorderster Reihe. Enttäuscht die „Selecao“, wird sich über Neymar wohl der Ärger des 200-Millionen-Landes ergießen. Viel Druck für die schmalen Schultern des Jungen, der aus der Stadt Mogi das Cruzes im Bundesstaa­t São Paulo kommt.

Dabei war sein Weg zum nationalen Hoffnungst­räger früh vorgezeich­net. Bereits in der Jugend drückten ihn Experten den Stempel des Wunderkind­s auf. Sein Debüt in der Nationalma­nnschaft gab er 2010 mit 18 Jahren. Zum 2:0-Sieg gegen die USA steuerte er einen Treffer bei. 31 Tore in 51 Spielen hat er bisher für Brasilien erzielt. Wenn er diesen Schnitt hält, dürfte er in ein paar Jahren den Rekord von Fußball-Legende Pelé (77 Tore) knacken.

Vergleiche zwischen den vielleicht besten Fußballern Brasiliens aller Zeiten sind für Neymar längst Alltagsges­chäft. „Er ist der König des Fußballs. Ich bin nur ein Junge, der Fußball spielen will“, sagte Neymar unlängst. Aussagen wie diese erwecken den Eindruck, als wolle er sich die Liebe am Fußball nicht durch die schier unmenschli­che Erwartungs­haltung verderben lassen. Denn die Unbekümmer­theit ist es, die Neymars Spiel ausmacht und auszeichne­t. Regelmäßig lädt er Videos auf „Youtube“hoch, wo er mal einen bekannten Tanz in der Kabine aufführt, ein anderes Mal einen Elfmeter sehenswert per Trickschus­s verwandelt. Auf dem Platz gibt er gerne den verspielte­n Jungen von nebenan, der vor allem durch herausrage­nde technische Fähigkei- ten auffällt, hin und wieder aber auch gerne zur einen oder anderen Schwalbe abhebt. Das kritisiert auch Pelé an seinem potenziell­en Nachfolger: „Neymar muss seine Emotionen in den Griff bekommen, kühlen Kopf behalten in Zweikämpfe­n. Und er muss lernen, im Stehen zu spielen. Er darf nicht zu schnell fallen.“Natürlich fehle ihm auch noch das, was ein bester Spieler der Welt unbedingt im Portfolio stehen haben sollte – eine Weltmeiste­rschaft.

Worte, die bei Neymar offenbar nicht zu großen Selbstzwei­feln führen. „Ich verspüre keinen Druck. Vielleicht fehlt mir das Sinnesorga­n, mit dem man Druck wahrnimmt“, antwortete er betont lässig. Was er im Testspiel gegen Serbien auf den Platz brachte, deutete allerdings auf einen jungen Mann hin, der sich sehr wohl Gedanken um die großen Hoffnungen macht, die das Land in ihn setzt. Beim 1:0-Sieg blieb er blass und ließ vorerst die Frage offen, ob er dem großen Druck gewachsen ist. Sein Trainer Luiz Felipe Scolari traut ihm eine entscheide­nde Rolle bei Brasiliens Mission Titelgewin­n zu. „Ich wäre nicht überrascht, wenn er bei der Weltmeiste­rschaft mit großartige­n Leistungen glänzt“, sagte Scolari, der Brasilien 2002 zum Titel geführt hat.

Für das Trainingsl­ager hat Scolari extra einen Motivation­strainer organisier­t, der das Team auch mental vorbereite­n soll. „Im kollektive­n Talent können wir Synergien schaffen, so dass zwei plus zwei nicht vier sind, sondern 40 oder 4000“, sagte Motivation­s-Coach Carlos Alberto Julio. Ein zweiter Neymar würde Brasilien wahrschein­lich schon reichen.

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FOTO: DPA Neymar ist neben Pelé der einzige Spieler, dessen Leistungen in Brasilien mit dem „Hors Concours“ausgezeich­net wurde. Der Titel soll die Überlegenh­eit eines Fußballers gegenüber den anderen Spielern verdeutlic­hen.

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