Richard Strauss – Juwelier der Klänge
Heute vor 150 Jahren wurde der große Komponist Richard Strauss geboren. Seine berühmten Opern wie „Salome“, „Elektra“oder „Rosenkavalier“erlangten Weltgeltung. Seine Rolle in der Nazi-Zeit bleibt zwiespältig.
MÜNCHEN Fast wäre der Mann, zu dem er aufschaute wie zu einem unerreichbaren Meister, sein Schwiegervater geworden. Dann wäre alles anders gelaufen, von 1889 an hätte ihn der Bayreuther Dunstkreis eingenebelt, Cosima Wagner hätte ihn als hochbegabten dirigierenden Gatten ihrer Tochter Eva protegiert – und dass Richard Strauss dann neben der Arbeit am Idol Wagner genug Zeit für seine eigene Musik gehabt hätte, ist kaum zu glauben.
Aber Strauss war kein Fähnchen, sondern ein Mast. Unbeirrt stand er auf seinem Weg und ignorierte alles, was ihn behelligte. Cosima ließ er wissen, dass es eine Sopranistin namens Pauline gab, der sein Herz gehörte. Diese Dame, die seine Schülerin war und als ungewöhnlich rustikal galt, wurde alsbald seine Gemahlin und fand sich irgendwann – 30 Jahre nach der Hochzeit – liebevoll verewigt als Christine in der Oper „Intermezzo“, einer verschrobenen Ehekomödie. Das Stück wird selten gespielt, aber in jedem Takt klingt es wie echter Strauss, wie man Strauss ja eigentlich immer erkennt.
Wenn es das Merkmal großer Komponisten ist, dass man sie auch bei weniger populären Werken bereits im zweiten Takt identifiziert, dann müsste man bei Strauss sagen: Er komponierte Musik wie eine gläserne Skulptur, die von innen leuchtet. Als Klangzauberer galt er schon früh; andere hielten ihn für einen raffinierten Parfümeur – in jedem Fall bleibt die Oberfläche des typischen Strauss-Klangs jedem Hörer lebhaft in Erinnerung. Strauss, Juwelier der Musik: Sie glitzerte (im „Rosenkavalier“), sie gellte („Elektra“), sie tänzelte („Ariadne“), sie trieb es wild („Don Juan“), sie jubelte (in der „Zueignung“) und verblich luxuriös („Tod und Verklärung“). Im Orchestergraben ist bei Strauss wenig Platz. Strauss liebte es mehrgängig, Opulenz schätzte er über alles. Prachtvoll verstand er zu instrumentieren, denn der große Komponist Strauss war im Nebenberuf ein nicht minder bedeutender Dirigent. Partituren kannte er blind, und jede Aufführung mit Werken Beethovens oder Wagners war für den jungen Strauss ein pädagogischer Vorgang, der Erlerntes imprägnierte.
Er maß sich an den Größten, und das fiel ihm leichter, als manche ahnten. War in der Oper nicht schon alles gesagt? Hatte Mozart nicht das humanistisch-erotische Kammerspiel der Aufklärung erfunden? Wagner nicht das gründerzeitliche Märchen mit altgermanischem oder mittelalterlichem Personal? Und jetzt kam dieser junge Tausendsassa, dessen Vater ein namhafter Hornist war und dessen Mutter der reichen Münchner Bierbrauer-Dynastie Pschorr entstammte, und legte Hand an das erhabene Ideengebäude der Musik. Wie Wagner hielt Strauss Mythen und Legenden für sein ewiges Impulsfeuer, aber er machte nicht so viel philosophisches Bohei um seine Stoffe. Zu- nächst sollte es einfach nur krachen – und am Anfang krachte es in „Salome“gewaltig. Auch „Elektra“badete im Blut und im Unterbewusstsein, die Oper spannte eine gewaltige Klammer von der antiken Tragödie über das erlesene Texthandwerk Hugo von Hofmannsthals bis zu Strauss’ weiten Klangspreizungen, in denen sich auch Piccoloflöte und Tuba wie innige Vertraute begegnen. „Elektra“ist Strauss’ Größtes.
Mit jenen frühen Schockern hatte sich Strauss ausgetobt, mit seinen genialischen, mitunter redseligen Symphonischen Dichtungen („Ein Heldenleben“) erst recht, so dass ihm der „Rosenkavalier“zu Hilfe kam: ein treffliches Portal, das zum Klassizismus der Stoffe führte, zu einer gewissen ätherischen Geruhsamkeit; es musste nicht im übernächsten Takt ein Kopf rollen. Zur Betulichkeit der Musik aber kam es nie. Mochten manche Stoffe mit viel Wucht und bemühtem Tiefgang um das Publikum ringen („Frau ohne Schatten“), so blieb die Pracht des Ornamentalen ungemindert wach. Ja, sein Kreativ-Brunnen sprudelte in allen Phasen ertragssicher, von Chören zur Kammermusik, von Liedern bis zur pittoresken Burleske für Klavier und Orchester (die der Pianist Glenn Gould überaus schätzte). Für Strauss war das Komponieren gewiss ein emotionaler Vorgang –
Seine Schwiegertochter Alice war Jüdin – sie galt es vor den Nazis zu schützen
mehr noch war es ein geliebtes Handwerk, verrichtet im Meisterbetrieb eines arbeitssamen Mannes, der schon früh berufsständisch dachte, weswegen er als ein Gründungsvater der Gema gilt.
Der späte Strauss mit seiner Neigung zur narkotisierenden Dekadenz – bei „Capriccio“schläft man regelmäßig ein – ist dann ein schwieriger Fall. Zur Betäubung neigte Richard Strauss auch in der Selbstwahrnehmung. Er war zwei Jahre Präsident der Reichsmusikkammer, ein Job, der ihm nur wegen des Amtes, nicht wegen der Ideologie etwas bedeutete. Klaus Mann schrieb über Strauss: „Ein Künstler von solcher Sensitivität – und dabei stumpf wie der Letzte, wenn es um Fragen der Gesinnung, des Gewissens geht! Ein großer Mann – so völlig ohne Größe!“Mann verschwieg dabei, dass Strauss’ Schwiegertochter Alice Jüdin war, die er schützen wollte. Später hat sich Strauss mit den Nazis nicht überworfen – sie waren ihm egal. Eine Stimme des Protests hat er nie erhoben. Das Verhältnis blieb auf seltsame Weise unpolitisch, neutral. Jedenfalls setzten sie Strauss 1944 auf die Sonderliste der drei wichtigsten Musiker der Zeit. Dass er neben sich auch Furtwängler und Pfitzner fand, hat ihn geärgert. Er hat es aber nie gesagt.
Als Strauss 1949 im geliebten Garmisch-Partenkirchen starb, begab sich seine Kunst als tönende Abendröte: „Vier letzte Lieder“etwa oder die „Metamorphosen“für 23 Solostreicher. So subtile Musik, feingliedrig, trotzdem voller Melodie. Hier merkte man vollends, dass es einen zweiten Meister gab, zu dem Richard Strauss, der Verklärer der Vergangenheit, aufschaute: Mozart.