Rheinische Post Ratingen

Deutlich mehr Lehrstelle­n als Bewerber

- VON THORSTEN BREITKOPF

Man könnte meinen, für jene jungen Menschen, die in Düsseldorf zurzeit eine Lehrstelle suchen, seien traumhafte Zeiten angebroche­n. Seit Oktober 2013 haben die Unternehme­n in der NRW-Landeshaup­tstadt gut 4200 Lehrstelle­n bei der Düsseldorf­er Agentur für Arbeit gemeldet. Bewerber gibt es darauf im Stadtgebie­t zurzeit 3200. Die Differenz ist mit 1000 offenen Lehrstelle­n beachtlich.

Aber was sind die Ursachen dafür, dass so viele Ausbildung­splätze von den Düsseldorf­er Schülern nicht nachgefrag­t werden? Die Faktoren für dieses eigentümli­ch anmutende Phänomen sind vielfältig. Zum Einen ist Düsseldorf ein klassische­s Oberzentru­m bei der Ausbildung. Das heißt, dass traditione­ll viele Azubis aus Mönchengla­dbach, Krefeld oder dem sonstigen Umland nach Düsseldorf strömen. Dort gibt es Lehrberufe, die in ihren Heimatstäd­ten nicht angeboten werden. Doch damit allein kann der Überhang nicht gedeckt werden.

Zum Anderen liegt es daran, dass die jungen Menschen heute andere berufliche Interessen verfolgen. So steigt die Zahl der Studenten kontinuier­lich, auch eine Folge des Bologna-Prozesses. Im Zuge der Harmonisie­rung der europäisch­en Studiengän­ge wurden Bachelor und Master eingeführt. Und gerade das recht kurze Bachelor-Studium ist für Schulabsol­venten eine attraktive Alternativ­e zur Ausbildung.

Aber die Firmen machen sich auch selbst Konkurrenz. So ist das duale Studium mit betrieblic­her Ausbildung und akademisch­en Blöcken heute zunehmend bei guten Absolvente­n gefragt. Genau diese Kandidaten hätten noch vor zehn oder 15 Jahren vielleicht eine Ausbildung und diverse betrieblic­he Weiterbild­ungen gemacht.

Brisanter noch für die Tatsche, dass Lehrstelle­n in Düsseldorf frei bleiben, ist aber, dass sich die Schüler alle auf eine sehr kleine Anzahl an Ausbildung­sberufen fokussiere­n. So suchen 50 Prozent der Bewerber nach den Top-10 der Stellen, darunter die Klassiker Bankkaufma­nn, KfzMechatr­oniker und Frisör. Es gibt aber mehr als 200 verschiede­ne Ausbildung­sberufe in Düsseldorf­er Unternehme­n und Handwerksb­etrieben. Doch viele Stellensuc­hende kennen diese nicht. Daher ist es ratsam, sich vor der Bewerbung und Berufsorie­ntierung schlauzuma­chen, über Alternativ­en zum Wunschberu­f. Eine gute Beratung bietet die Agentur für Arbeit, aber auch die Industrie- und Handelskam­mer und die Handwerksk­ammer Düsseldorf. Letztere etwa informiert diese Woche am Freitag und am Samstag über das vielfältig­e Jobangebot beim Tag der Technik an ihrem Sitz in Bilk.

Doch ein Problem bleibt bestehen. Zu Beginn des Lehrjahres im August und September wird es offene Lehrstelle­n geben – und dennoch unversorgt­e Bewerber. Der Grund ist, dass Unternehme­n immer häufiger zu anspruchsv­oll sind, was die Auswahl der Lehrlinge betrifft. Und wenn der Kandidat mit der Zwei in Mathe und Deutsch nicht zum Bewerbungs­gespräch erscheint, sondern sein Schulfreun­d mit der Vier, dann geht dieser oft leer aus.

Genau das kann aber aus unternehme­rischer Sicht ein großer Fehler sein. Vieles spricht dafür, dem zweit- oder gar fünftbeste­n Bewerber auch eine Chance zu geben. Denn die Erfahrung vieler Ausbilder zeigt, dass die Azubis mit weniger guten schulische­n Vornoten sehr engagierte Lehrlinge werden, die die Besonderhe­it ihrer Chance erkennen. Außerdem können sie sich im Betrieb noch entwickeln, vielleicht auch, weil der Meister für einige von ihnen eher zum erzieheris­chen Vorbild taugt als der akademisch­e Studienrat. Außerdem steht ja etwa eine schlechter­e Note in Deutsch in keinerlei Zusammenha­ng etwa mit handwerkli­cher Geschickli­chkeit oder berufliche­m Engagement.

Außerdem ist die Wahrschein­lichkeit, dass der schulisch schwächere Auszubilde­nde nach der Lehre zum Studium geht und dem Unternehme­n nicht mehr zur Verfügung steht, geringer.

50 Prozent der Bewerber suchen nur nach den Top-10-Lehrberufe­n – angeboten werden 200 Ausbildung­en vor Ort

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ARCHIVFOTO: VISUM Azubi zum Industriem­echatronik­er und sein Ausbilder. Die Zahl der Ausbildung­splätze ist in Düsseldorf um 1000 höher als die der Bewerber.

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