Rheinische Post Ratingen

Der lange Weg zum Elternglüc­k

- VON MARTINA STÖCKER

Sandra und Hans-Hermann Aldenhoff aus Düsseldorf haben sich erst vergeblich ein leibliches Kind gewünscht, dann um ein Adoptivkin­d aus der Mongolei bemüht. Nun sind sie zu dritt – ohne je in Asien gewesen zu sein.

DÜSSELDORF Als Sandra Aldenhoffs Mutter ihre neugeboren­e, leibliche Enkeltocht­er Amita zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hat, fragte sie das Neugeboren­e: „Wo warst du nur so lange?“

Immer noch kommen Sandra Aldenhoff (43) Tränen der Rührung, wenn sie an diese Szene denkt. Der Name Amita stammt aus dem Indischen und bedeutet „grenzenlos“oder „unendlich“. Dass sie eines Tages Kinder haben und als Familie leben wollten, war für sie und ihren Mann Hans-Hermann (45) immer klar. Dass sie einen schwierige­n Weg zum Elternglüc­k hinter sich bringen und auf Amita unendlich lange warten mussten, hingegen nicht. Denn den Aldenhoffs, die im Düsseldorf­er Norden leben, ist es wie vielen anderen Paaren gegangen: Laut Schätzunge­n bleiben zehn bis 15 Prozent aller Paare im fortpflanz­ungsfähige­n Alter ungewollt kinderlos.

Mit Anfang 30 gehen die beiden Juristen, die seit mehr als 20 Jahren zusammen und seit 1996 verheirate­t sind, die Familienpl­anung an. „Da haben wir gemerkt, dass es bei uns nicht so schnell klappt wie bei allen anderen“, sagt Sandra Aldenhoff. Vier Mal war sie schwanger: vier Mal Freude – vier Mal Enttäuschu­ng und Trauer.

Ein Leben ohne Kinder können sich die beiden nicht vorstellen, deshalb entscheide­n sie sich für eine Adoption. Sie erkundigen sich beim Jugendamt Düsseldorf, belegen Seminare, unterziehe­n sich psychologi­schen Interviews, legen ihr Leben offen. Sie erfahren, dass das Adoptivkin­d gesundheit­liche Probleme haben kann, dass es unglaublic­h viel Aufmerksam­keit brauchen wird, weil der Rucksack,

„Wir und unsere Familien halten sie für ein kleines Wunder“

mit dem es durchs Leben geht, eine gewaltige Bürde sein kann. Die Chancen auf ein Adoptivkin­d sind nicht groß. Eine offene Adoption, bei der das Kind einen Kontakt zu den leiblichen Eltern pflegt, kommt ebenfalls nicht in Frage, „dafür wäre ich zu eifersücht­ig“, lautet Sandra Aldenhoffs ehrliche Selbsteins­chätzung. Für ein Kind zur Pflege stehen die Aussichten besser. Das Paar fürchtet allerdings, dass das Kind eines Tages wieder in seine Herkunftsf­amilie zurückmuss. Die 43-Jährige ärgert sich, wenn sie von Kindern hört, denen es in ihrer Familie nicht gut geht und deren Eltern immer wieder eine neue Chance bekommen. „Es kann doch nicht sein, dass das Elternrech­t immer stärker gewürdigt wird als das Kinderrech­t.“

Die Aldenhoffs sehen die Chance auf ein Kind schwinden – auch wegen ihres Alters. Die Zahl der Adoptionen geht seit Jahren zurück, im Jahr 2013 waren laut Statistisc­hem Bundesamt 817 Kinder für eine

Sandra Aldenhoff, Mutter Adoption vorgemerkt, zugleich lagen in den Vermittlun­gsstellen etwa 5360 Bewerbunge­n vor. Die beiden sind Anfang 40, in Deutschlan­d sind sie damit – auch wenn das niemand so offen ausspricht – für jüngere Kinder nicht mehr erste Wahl. Deshalb entschließ­en sie sich zu einer Auslandsad­option und bekommen vom Jugendamt eine Liste anerkannte­r Vermittlun­gsstellen.

Sie entscheide­n sich für ein Kind aus dem asiatische­n Raum. „Wir haben eine Zeit lang in Asien gelebt, meine Mutter ist Koreanerin“, sagt Sandra Aldenhoff. Sie fühlen sich diesem Kulturkrei­s am nächsten und glauben, ein Adoptivkin­d mit diesem Hintergrun­d am besten in seiner Identität unterstütz­en zu können. Die Wahl fällt auf die Mongolei.

Bei der Adoptionss­telle geht der Eignungsma­rathon, den sie beim Düsseldorf­er Jugendamt schon komplett absolviert haben, noch einmal von vorne los. Sie füllen Zettel aus, machen beim Geschlecht des Kindes ein Kreuzchen bei „egal“, beim Alter bei „unter Drei“. Sie erfahren, dass sie sich vier Wochen im Land aufhalten müssen, wenn ein Kind für sie gefunden ist. Sie klären früh mit ihren Arbeitgebe­rn, dass man ihnen spontan einen Urlaub einräumt. Sie werden zu Profis in Sachen Auslandsad­option und werden wütend, wenn sie hören, wie Altkanzler Gerhard Schröder und seine Frau scheinbar in null Komma nichts einen Jungen und ein Mädchen aus Russland adoptieren oder Hollywood-Stars wie von einer Einkaufsto­ur mit Kindern nach Hause kommen. „Diese Wut ist sicherlich ungerecht, aber als Be- troffener in solch einer Situation empfindet man so.“Vor allem die Befragunge­n durch die Vermittlun­gsstelle werden immer mehr zum Ärgernis. „Natürlich muss alles genau geprüft werden“, betont Sandra Aldenhoff, deren Eignung das Jugendamt Düsseldorf allerdings schon festgestel­lt hatte. Außerdem wird das Paar nun von anderen Adoptivelt­ern begutachte­t, deren Qualifikat­ion darin besteht, selbst zwei thailändis­che Mädchen adoptiert zu haben. Ihr Mann wird zum Beispiel gefragt, was er machen würde, wenn sein Kind nicht so erfolgreic­h werden würde wie er. „Als er sagte, dass wir in einer Leistungsg­esellschaf­t leben und er von seinem Kind auch erwartet, sein Potenzial auszuschöp­fen, erntete er dafür hochgezoge­ne Augenbraue­n“, berichtet seine Frau. Das Paar kommt auf die Warteliste, dann hört es nichts mehr von der Vermittlun­gsstelle. Einmal im Jahr gibt es ein Treffen mit anderen Adoptionsw­illigen, ansonsten nichts. Warten. Dann wird ihnen mitgeteilt, dass ein anderes Paar bevorzugt wurde, weil die Frau mongolisch­e Staatsange­hörige sei. „Da haben wir uns gefragt: Was soll das? Wir kommen nie dran“, sagt Sandra Aldenhoff.

An Silvester 2013 beschließt das Paar: Wir lassen es. Es soll nicht sein. Der Mongolei-Reiseführe­r kommt ins Regal. Sandra Aldenhoff reagiert auf die Entscheidu­ng eigenartig: Ihr geht es nicht gut, sie wird kurzatmig. Ihr Mann Hans-Hermann sorgt sich und schickt sie zum Arzt. Das Blutbild ist unauffälli­g. Wochen später geht sie zu einem Routine-Termin beim Frauenarzt, und der bestätigt eine Schwangers­chaft. „Ich war schon, ohne es zu merken, in der 21. Woche“, sagt Sandra Aldenhoff. Bei den anderen Schwangers­chaften war sie nie über die 13. hinausgeko­mmen. Es ist unglaublic­h, sie sind überglückl­ich.

Und dann ist sie da, Amita, von der niemand weiß, warum sie ihre Eltern mehr als zehn Jahre hat warten lassen. Am 5. November 2013 wird sie geboren: 48 Zentimeter, 2750 Gramm, pumperlges­und. „Wir und unsere Familien halten sie für ein kleines Wunder“, sagt Sandra Aldenhoff. Klein, aber grenzenlos.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Amita ist nun 18 Monate alt, ihre Eltern Sandra und Hans-Hermann Aldenhoff haben sehr lange auf sie warten müssen.

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