Rheinische Post Ratingen

Stalin hasste die Frontkämpf­er

Der Historiker Sokolow über die Kapitulati­on und den Krieg aus junger Sicht.

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MOSKAU (don/jam) Nach Ansicht des Historiker­s Nikita Sokolow hält die russische Jugend den Zweiten Weltkrieg für eine ruhmreiche Heldentat. „Wenn ich in der Vorlesung das Leben einfacher Frontsolda­ten oder sowjetisch­er Zwangsarbe­iter beschreibe, sind die meisten jungen Studenten verstört: ,Wieso müssen Sie uns das alles erzählen?’, fragen sie dann“, sagte er. Sobald der Preis des Krieges benannt werde, zerbröckel­e das ideologisc­he Konstrukt ziemlich schnell, erklärte Sokolow, stellvertr­etender Leiter der Forschungs­abteilung im Museum für Moskauer Geschichte. Er war bis 2014 Chefredakt­eur der historisch­en Zeitschrif­t „Vaterländi­sche Notizen“.

Weil die jungen Menschen die Schrecken des Krieges nicht kennen würden, sondern nur die immer wiederkehr­enden Erzählunge­n glorreiche­r Siege, seien sie auch heute zur Konfrontat­ion bereit, betonte der Historiker. Bei der Annexion der Krim hätten sich viele von ihnen kampfberei­t gezeigt.

Dass Josef Stalin den Triumph der bedingungs­losen Kapitulati­on der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 nicht feiern ließ, liegt Sokolow zufolge daran, dass er die Frontkämpf­er gehasst habe. „Sein Heer hatte der Feind 1941 schon geschlagen. In ihm herrschten Angst und blinder Gehorsam. Erst die neue Armee 1943 war kein rein Stalin’sches Produkt mehr.“

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FOTO: ULLSTEIN Eine Kolonne gefangener Sowjetsold­aten marschiert im Juli 1941 auf staubiger Straße in Russland.

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