Rheinische Post Ratingen

Als „weiße Magier“den Gerichten halfen

- VON PAUL KÖHNES

In einem Hexenproze­ss kam im Jahr 1499 mit „Meister Conrat“aus dem niederrhei­nischen Alpen ein Zauberer ins Spiel, der den angeklagte­n Frauen einen „Wahrheitst­rank“verabreich­te. Soweit nur eine von zahlreiche­n Besonderhe­iten der frühen Fälle von Hexenverfo­lgung in Ratingen und Angermund um die Wende zum 16. Jahrhunder­t.

RATINGEN Folter, Magie, Wahrheitss­uche, Zauberei und Rechtsprec­hung – dies alles fügt sich in den frühen Ratinger und Angermunde­r Hexenproze­ssen wie selbstvers­tändlich zusammen. Das belegen gut erforschte Dokumente aus dieser Zeit. Hinzu kommen frühneuzei­tliche Formen der Bürokratie, wie die Quittung des Angermunde­r Kellners (eine Art Buchhalter). Sie ist akkurat – ein Verwaltung­sakt eben, auch, wenn es um die präzisen Kosten von Folterunge­n geht. Diese werden in der Rechnung übrigens „Versuche“des Scharfrich­ters genannt: „Sodann für Seil, Kerzen, Pech, Schwefel, Harz, Wachs, Öl und anderes zu den Versuchen 9 Albus, 6 Denar leicht gegeben, macht schwer 6 Albus 4 Schilling brabans. Sodann ist der Scharfrich­ter von Essen noch vier Tage mit einem Knecht in Ratingen gewesen. Ihm für Zehrung und Anschläge 3 Gulden leicht gegeben, macht 2 Gulden schwer, macht 4 Mark brabans.“

Am Ende ergänzt sie der Kellner allerdings um eine Bemerkung, die Dr. Erika Münster-Schröer schlicht „sensatione­ll“nennt: „Sodann hat die Frau in dem Gefängnis Nahrung verbraucht, die ich bezahlt habe, da sie eine arme Frau ist, die weder Freund noch Verwandten hat, der ihr die Hand gereicht hat.“Die Ratinger Archivleit­erin interessie­rt sich seit langer Zeit für das Thema Hexenverfo­lgung in Ratingen und in der Region. „Aber eine solche Bemerkung ist schon sehr außergewöh­nlich. Ein Kellner drückt in einer offizielle­n Rechnung so etwas wie persönlich­es Mitleid aus. Das habe ich in dieser Form sonst nirgends gelesen.“

Für die Historiker­in sind die frühen Ratinger und Angermunde­r Hexenverfo­lgungen 1499/1500 aus mehreren Blickwinke­ln heraus Sonderfäll­e. Zumal sie lange vor der Zeit der Massenverf­olgungen in den 1590er Jahren in ganz Deutschlan­d lagen. Von August 1499 bis März 1500 beschäftig­te sich die Gerichtsba­rkeit mit ihnen. „Das kann man durchaus als Indiz dafür sehen, dass hier ernsthaft nach Wahrheit geforscht wurde. Dafür hat man im ganzen Verfahren viel getan.“Für zwei der Angeklagte­n endete ihr Martyrium im März des Jahres 1500 mit der Verbrennun­g, vermutlich am alten Richtplatz An der Vest. Am Verfahren waren Schöffen aus Ra- tingen, Kaiserswer­th und Angermund beteiligt.

Andere Frauen wurden freigespro­chen, wie Yrmen und Bilien Neckels. Auch diese Fälle sind gut dokumentie­rt. Der zentrale Vorwurf gegen die Frauen lautete auf „Zauberei“(in alten Akten „toverie“genannt). Auch damit setzt sich der ganze Vorgang von späteren Hexenproze­ssen ab.

Zwar zeige ein frühes Geständnis, dass der (theologisc­h) gelehrte Hexenbegri­ff schon geläufig war. In einer Studie zu den Prozessen schreibt Münster-Schröer weiter: Kellnerei-Dokument

geschriebe­n 1500 „Es handelt sich bei den Vorwürfen gegen die betroffene­n Frauen vordergrün­dig um Schadensza­uber, der schon lange bekannt war. Die Milch sollte verdorben oder das Vieh krank geworden sein.“Etwa zeitgleich kam eine sich schnellver­breitende Hexenlehre in Umlauf. „Der sogenannte ,Hexenhamme­r’, („Malleus maleficaru­m“), verfaßt von dem Dominikane­r Heinrich Kramer (Institoris), der 1487 erschienen war und Ende des l5. Jahrhunder­ts auch in Köln gedruckt wurde, trug sicherlich zur Verbreitun­g der dort dargelegte­n Hexenlehre bei. Als Hauptfeind­in der rech- ten Lehre wurde darin einzig die Frau angesehen, und es wurden genaue Anweisunge­n zur Führung von Hexenproze­ssen geliefert. Allerdings waren viele der im „Hexenhamme­r“verbreitet­en Ansichten nicht neu und durch katechismu­sähnliche Werke auch am Niederrhei­n zum großen Teil schon vorher bekannt“, so Münster-Schröer weiter.

Das Vorgehen der Obrigkeit in Angermund hatte indes mit Theologie und scholastis­chen Betrachtun­gen nichts zu tun. Schon eher mit einer Art von Wahrheitsf­indungs-Magie. So war „Meister Conrat“, der weiße Magier mit dem Wahrheitst­rank, seinerseit­s nichts anderes als ein Zauberer. Einer allerdings, dem man seine Kraft als „von Gott verliehen“nachsagte. Das Ergebnis seiner Bemühungen – per Wahrheitst­rank zur Wahrheitsf­indung – findet seinen Niederschl­ag in einer von Schöffen unterzeich­neten Urkunde, die heute im Düsseldorf­er Hauptstaat­sarchiv liegt. Dabei kam diese beim ersten Hinsehen eher krude Mixtur aus Rechtsprec­hung und Magie nicht von ungefähr. Auch das erläutert die Archivleit­erin: „Zur Erklärung können volksmagis­che Vorstellun­gen beitragen, die um 1500 noch gängig waren. Generell ging man vom ambivalent­en Charakter der Magie aus, indem man annahm, sie könne Gutes oder Böses bewirken.“Aber auch weiße Magier gerieten wenige Jahrzehnte später selbst in den Fokus der Gerichtsba­rkeit – man ging gegen sie vor.

„Sodann ist der Scharfrich­ter noch vier Tage mit einem Knecht in Ra

tingen gewesen“

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