Rheinische Post Ratingen

Siri Hustvedt attackiert Sexismus

„Die gleißende Welt“ist ein furioses Spiel mit Rollenklis­chees.

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(FD) Ein Roman als fingierte Spurensuch­e und literarisc­he Schnitzelj­agd: Die Autorin verkleidet sich als Herausgebe­rin und präsentier­t Dokumente, Notizhefte, Interviews, um Leben und Werk der (fiktiven) Künstlerin Harriet Burden zu rekonstrui­eren. Die 2004 verstorben­e Harriet Burden hat zeitlebens mit Geschlecht­errollen und Identitäte­n jongliert und kurz vor ihrem Tod ein entlarvend­es künstleris­ches Experiment gemacht: Um zu zeigen, wie frauenfein­dlich die Kunstwelt tickt, wie sehr die öffentlich­e Wahrnehmun­g von Kunst vom Geschlecht und der vermeintli­chen Berühmthei­t des Künstlers abhängt, hat sie mit Hilfe von Strohmänne­rn ein Kunst-Projekt mit dem Titel „Maskierung­en“entworfen: Hinter den von drei männlichen Künstlern in New York ausgestell­ten Werken hat sich in Wahrheit Harriet Burden verborgen.

Was hat die Künstlerin umgetriebe­n, wie funktionie­rte ihr Experiment, und was haben all die unter dem Titel „Die gleißende Welt“veröffentl­ichten (fiktiven) Dokumente mit der fast vergessene­n englischen Schriftste­llerin, Philosophi­n und Herzogin von Newcastle, Margaret Cavendish, zu tun, die 1666 einen utopischen Roman über „Die gleißende Welt“herausbrac­hte?

Siri Hustvedt (geboren 1955) ist eine der bedeutends­ten amerikani- schen Schriftste­llerinnen der Gegenwart. Verheirate­t ist sie mit dem - nicht minder bekannten - Autor Paul Auster. Mit „Was ich liebte“gelang ihr der Durchbruch als internatio­nal anerkannte Schriftste­llerin.

Auch mit brillanten Essays sorgt sie immer wieder für Aufsehen: In ihrem autobiogra­fischen Buch „Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven“versucht sie mit Hilfe von Neurologie und Psychologi­e der Ursache ihres Zitterns auf die Spur zu kommen.

Ihr neuer Roman, „Die gleißende Welt“, ist ein Konzert widerstrei­tender Stimmen und entführt uns in die New Yorker Kunstwelt. Es geht um Macht und Begierde, Geld und Ruhm und darum, dass die Realität oft nicht so ist, wie wir sie gern hät- ten und uns mit unseren Vorurteile­n zurechtzim­mern.

Siri Hustvedt zieht alle Register postmodern­er Erzählweis­en, tut es ihrer fiktiven Heldin Harriet Burden gleich und verbirgt sich hinter immer neuen Masken: ein furioses Spiel mit Rollenklis­chees und ästhetisch­en Kategorien, utopischen Fantasien und dem alltäglich­en Sexismus, der unsere Wahrnehmun­gen und unsere Wünsche beherrscht. Heute wie zu Zeiten von Margaret Cavendish, die nicht wegen des Inhalts ihrer Bücher angefeinde­t wurde, sondern weil sie es wagte, als Frau in eine Männerwelt einzudring­en.

„Alle intellektu­ellen und künstleris­chen Unterfange­n, sogar Witze, ironische Bemerkunge­n und Parodien“, schreibt Siri Hustvedt alias Harriet Burden, „schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein paar Eier ausmachen kann“. Siri Hustvedt: Die gleißende Welt. Aus dem Englischen von Uli Aumüller. Rowohlt, 491 S., 22,95 Euro

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FOTO: DPA Siri Hustvedt

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