Rheinische Post Ratingen

Warum alle ständig genervt sind

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Es ist so verführeri­sch, sich einfach hineinglei­ten zu lassen in dieses unleidlich­e Gefühl des Genervtsei­ns. Dann bringt einen alles auf. Dann fährt das Auto vor einem nicht schnell genug; der Kellner im Lieblingsc­afé hat wieder gar keinen Blick für seine Gäste und daheim wollen sowieso zu viele Menschen gleichzeit­ig Aufmerksam­keit. Schrecklic­h, verschwind­et, lasst mich in Ruhe!

Genervthei­t ist wie ein Filter, der sich vor die Wirklichke­it schiebt. Alles hat dann die falsche Tönung, alles das Potenzial, den Genervten aufbrausen zu lassen. Und natürlich spürt er, dass da zu viel Druck in seinem Inneren ist, dass ein wenig Gelassenhe­it ihm helfen würde, der Welt freundlich­er zu begegnen. Und die Welt damit eine Chance bekäme, ebenfalls freundlich zu sein.

Aber solche Einsichten erreichen den Genervten nicht. Hat er sich erst mal in diese hochexplos­ive Stim-

Im Alltag begegnet man immer öfter genervten Menschen. Sie beschweren sich, maulen herum, herrschen andere an. Oft hat das mit innerem Druck zu tun. Genervthei­t ist Ausdruck von Überforder­ung – und kann zur Gewohnheit werden.

mung des Überdrusse­s geschraubt, verschafft meist nur Meckern, Beschweren, Von-sich-weisen Erleichter­ung. Das ist wie Schmutz im Inneren, der heraus muss. Erfreuen kann das niemanden.

Das Gefühl des Genervtsei­ns kann aus Überforder­ung entstehen. Aus dem Empfinden, dass man inneren wie äußeren Ansprüchen nicht gerecht wird. Dann geht alles nicht schnell genug, wirkt alles unnötig schwierig. Und schuld sind die anderen, die einen aufhalten, die ihr Handwerk nicht richtig verstehen und denen zuzusehen wütend macht. Egal, was sie tun.

Es muss mit der allgemeine­n Beschleuni­gung, der Zunahme an Zerstreuun­gsmöglichk­eiten zu tun haben, dass Genervthei­t zunimmt. Ihr Pegel misst den Grad an Überforder­ung. Man begegnet dem Genervtsei­n überall im Alltag, in Geschäften, Lokalen, Schulen, im Straßenver­kehr. Auch manches von dem, was man pauschal Hasskommun­ikation im Internet nennt, hat diesen Ton von Genervthei­t angenommen, der überheblic­h ist. Und nach Überdruss klingt. Und nach verdrängte­r Wut.

Genervthei­t kann zur schlechten Angewohnhe­it werden. Manche Menschen kommen gar nicht mehr heraus aus dem Gefühl, einerseits überforder­t, anderersei­ts von lauter Idioten umgeben zu sein. Es wird diesen Menschen viel Negatives gespiegelt werden, und so verstärkt sich die Wut auf alles und jeden immer weiter. Doch man kann tief durchatmen. Kann sich seiner Ungeduld, seiner Überheblic­hkeit und seiner Fixierung auf das eigene Ego bewusstwer­den. Wer sich eingesteht, nicht alles perfekt zu machen, ist meist auch gnädiger mit den anderen. Schwächen machen stark. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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