Wenn Oma einen Maibaum bekommt
Selbst heute noch erzählt die Familie Paul sich jedes Jahr am 30. April von der besonderen Bedeutung des Tanz’ in den Mai im Jahr 1970. Es war im Ratskeller in Mönchengladbach-Giesenkirchen (damals noch Rheydt-Giesenkirchen), wo die junge Verkäuferin Brigitte allein auf einem Stuhl auf der Empore saß. Sie war mit ihrer Schwester und deren Freund gekommen. Ein junger Mann, Hans, kannte die Schwester vom Sehen und kam, um Hallo zu sagen. Und dann sah er Brigitte und forderte sie kurzerhand zum Tanzen auf. „Zu 70er-Jahre-Schlager-Musik war das“, erinnert sich die 66-Jährige. „Irgendwann sind wir dann draußen Luft schnappen gegangen. Und da gab es auch schon ein erstes Küsschen.“Liebe auf den ersten Blick sei es gewesen, die Hochzeit fand bereits ein gutes Jahr später statt. „Wir hatten es sehr eilig“, sagt sie schmunzelnd. Seit dem 1. Mai 1970 tanzte das Paar nun jedes Jahr an seinem Kennenlerntag in den Mai. „Wir haben die umliegenden Dörfer abgeklappert“, sagt sie. Nur am 30. April 1977 konnten sie nicht Tanzen gehen, denn da kam Volker dazwischen, der zweite Sohn des Paares – „unser Tanz-in-den-Mai-Kind“!
38 Jahre waren Hans und Brigitte Paul verheiratet, 2009 starb ihr Mann. Zum Tanz in den Mai geht sie nicht mehr, doch feiert sie morgen mit Volker dessen 40. Geburtstag. mre An einen ganz besonderen 1. Mai erinnert Gabriele Lins sich heute noch gerne zurück: Es war vor gut zehn Jahren, damals war sie Ende 60, als ihr Mann Günter zu ihr sagte: „Ich sollte dir wirklich einen Maibaum aufs Dach setzen, das wäre doch ein toller Gag, nicht wahr?“Gabriele Lins hielt es für einen Scherz und hatte die Idee schnell vergessen. Wohl aber wunderte sie sich, dass am 1. Mai immer wieder Passanten an ihrem Küchenfenster vorbeikamen und nach oben schauten. Als dann auch ihr Nachbar schmunzelnd im Vorgarten stand, hakte sie nach: „Haben wir Störche auf dem Dach?“Kurzerhand sah die Dormagenerin selbst nach und entdeckte auf dem Dach ein zartes Birkenbäumchen, an dem rote Stoffstreifen flatterten. Ihre Überraschung war groß: „Mein Mann hat mir nie verraten, wie er das gemacht hat“, erzählt die 79-Jährige heute. Doch das hat sie nie gestört, so groß war ihre Freude. Schon in Jugendjahren hat sich das Paar kennengelernt, heiratete und feierte sogar goldene Hochzeit. Es hat drei Kinder, vier Enkel und sogar ein Urenkelchen. Im vergangenen Jahr ist Günter Lins verstorben.
Besonders verdutzt habe damals Enkelin Anna auf die Birke reagiert: „Maibäume bekommen doch nur die jungen Mädchen, und in eurem Haus wohnt nur ihr.“Liebesbeweise zum 1. Mai kennen eben kein Alter. ubg