Der kleine Traum von England
Der Ex-Leverkusener Jens Hegeler spielt seit diesem Jahr in Bristol in der zweiten Liga. Für den 29-jährigen Fußballprofi ist es mehr als nur die nächste Profistation, es ähnelt eher einem Auslandssemester. Die besten Cafés kennt er schon.
BRISTOL/DÜSSELDORF Jens Hegeler ist 29 Jahre alt und Fußballprofi. Er hat Champions League gespielt mit Bayer Leverkusen, Abstiegskampf erlebt mit Hertha BSC und dem 1. FC Nürnberg, und er scheiterte mit dem FC Augsburg in der Relegation zur ersten Liga. 159 Bundesligaspiele kann Hegeler vorweisen, neun Tore, und als größter Moment geht sicherlich ein direkt verwandelter Freistoß zum 2:1-Sieg von Bayer 04 in der Königsklasse gegen San Sébastian durch. Der 1,93-Meter-Schlaks hat also schon durchaus Jens Hegeler vieles erlebt und einiges erreicht. Aber rund war für ihn die Karriere noch nicht. Denn da war dieser Traum. „Ins Ausland zu gehen, war ein lange gehegter Traum von mir, und da war England schon die erste Wahl“, erzählt Hegeler. Seit Januar erfüllt er sich diesen Traum. Es ist der kleine. In Bristol. In der zweiten englischen Liga. Aber Traum bleibt Traum, und deswegen sagt Hegeler: „Ich bin froh, hier zu sein.“
Für zweieinhalb Jahre hat er Anfang des Jahres bei Bristol City unterschrieben. Hat EuropapokalChancen mit Berlin gegen den Abstiegskampf an der englischen Westküste eingetauscht. Auf dem Papier ein Abstieg im Lebenslauf. Doch Hegeler sieht es natürlich anders: „Ich wusste, dass ich nach der Station Berlin ins Ausland wollte. Und es fühlt sich hier in Bristol, hier im Championship, nicht wie ein Abstieg an“, sagt er. Und er sagt auch: „Man muss ja auch realistisch sein, was man bekommt. Ich hatte ja in Berlin nun auch keine Bäume aus- gerissen.“Dass Chelsea, Arsenal oder Liverpool sich bei ihm melden würden, der große Traum also wahr würde, war nicht zu erwarten. Doch den Traum deswegen komplett aufgeben? Keine Option für Hegeler.
Wie klein oder groß ein Traum ausfällt, ist halt immer auch eine Frage der Perspektive. Und Hegelers Perspektive geht weit über den Fußballalltag hinaus. Das verraten schon die Beweggründe, nach denen der gebürtige Kölner seine Entscheidung für Bristol traf. „Für mich war nach einem dreitägigen Besuch in der Stadt klar: Wenn ich nach England gehe, dann nach Bristol“, sagt er.
Klar, er schaute sich den Verein an, aber eben auch die Stadt, machte sich ein Bild vom Alltag, der ihn erwarten würde in der 430.000-Einwohner-Stadt, die in der Gunst der englischen Studenten ganz weit oben liegt, wenn es darum geht, wo man denn am liebsten studieren würde. 40.000 gibt es hier, und dieses Flair der Studentenstadt reizte Hegeler. „Die Top Ten der Cafés von Tripadvisor habe ich schon durch, an den Restaurants arbeite ich noch“, erzählt er und lächelt.
Für ihn ist die Zeit in Bristol wie ein Auslandsemester in Fußballschuhen. „Ich habe auch total Lust, mein Schulenglisch zu verbessern“, sagt er. Er reist an freien Tagen herum, guckt sich seine neue Heimat auf Zeit an, Freunde kommen zu Besuch. Hegeler ist nicht der Typ, der zwischen Training, Spiel und Bett nur noch vor die PlayStation wechselt. Nur Profi zu sein, das ist Hegeler zu wenig, und so gründete er vor ein paar Jahren mit seinem Kumpel und früheren Leverkusener Mitspieler Stefan Reinartz (der beendete die Karriere mit 27) ein Start-up, mit dem die beiden in Sachen Datenanalyse im Fußball erfolgreich neue Wege beschritten. Zurzeit ruht seine Tätigkeit in der Firma aber, schließlich will und soll er ja vor allem Fußball spielen in Bristol.
„Man muss ja auch realistisch sein, was man bekommt“