Ältester Vormensch könnte aus Europa stammen
Tübinger Wissenschaftler stellen neue Thesen zur Entstehungsgeschichte der Menschen auf.
TÜBINGEN Ein Forscherteam aus Tübingen rüttelt an der bisher gängigen Vorstellung, wie sich die Menschheit entwickelt haben könnte. Die Wissenschaftler um Madelaine Böhme haben Indizien gefunden, dass die Wiege der Menschheit möglicherweise in Osteuropa liegt – und nicht wie bisher angenommen in Afrika. Die Tübinger Forscher untersuchten dazu die wenigen Überreste eines sehr frühen Vorgängers des Menschen. Er heißt „Graecopithecus freybergi“. Alle Informationen, die wir über diese Spezies besitzen, resultieren aus der Analyse eines Zahns, der in Bulgarien gefunden wurde, und Teile eines Unterkieferknochens, der in Griechenland ausgegraben wurde.
Detaillierte Untersuchungen lassen die Forscher vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Paleoenvironment (HEP) nun vermuten, dass es sich bei Graecopithecus um eine bislang unbekannte Vormenschenart handelt. So seien die Zahnwurzeln weitgehend verschmolzen gewesen – ein charakteristisches Merkmal des Menschen und seiner ausgestorbenen Verwandten, argumentiert Madelaine Böhme. Bei Menschenaffen liegen die Zahnwurzeln üblicherweise getrennt vor. Dieser Unterschied ist wichtig, denn die Paläontologen suchen seit langem eine Antwort auf die Frage, wann und wo der gemeinsame Vorfahr von Menschen und Affen sich so unterschiedlich entwickelte, dass sich daraus die Trennung von Menschen und Affen ergab. Wenn man diese Aufspaltung der Entwicklungslinie als Menschwerdung beschreiben will, dann sind die ersten Spuren einfache Veränderungen von Anatomie und Gebiss.
Aus dem letzten gemeinsamen Vorfahren haben sich vermutlich Mensch und Schimpanse entwickelt. Denn Gen-Analysen belegen, dass andere Menschenaffen wie Orang-Utans oder Gorilla schon vorher eine eigenständige Entwicklung begonnen haben. Das Erbgut dieser beiden Arten zeigt weniger Gemeinsamkeiten mit dem des Menschen als die DNA der Schimpansen.
Das Tübinger Team hat über eine Analyse der Sedimente, aus denen die Fossilien geborgen worden wa- ren, auch das Alter der Fundstücke bestimmt. Sie datierten den Unterkiefer auf ein Alter von 7,175 Millionen Jahren, den Zahn auf 7,24 Millionen Jahre. Die Funde seien damit älter als der bisher älteste aus Afrika bekannte Vormensch, sagt Böhme. Die Überreste des „Sahelanthropus“seien sechs bis sieben Millionen Jahre alt, sagt Böhme. Daraus folgern die Forscher, dass die Abspaltung der Entwicklungslinien von Vormenschen und Schimpansen womöglich früher und nicht in Afrika, sondern im östlichen Mittelmeerraum stattfand. Zu diesem Zeitpunkt war das heutige Osteuropa vermutlich eine Savannenlandschaft. Die Graecopithecus Fossilien wurden gemeinsam mit Vorfahren heutiger Giraffen, Gazellen, Antilopen und Nashörner gefunden.
Böhme rechnet mit großem Widerspruch auf ihre These. Die Tübingerin will nun weitere Hinweise auf die Entstehung des Vormenschen außerhalb Afrikas im Iran, Irak und möglicherweise im Libanon suchen. Die Fundstelle des Graecopithecus liefert keine weiteren Informationen. Sie wurde bei den Bauarbeiten für einen Swimmingpool zerstört.
Die Tübinger Wissenschaftler rechnen mit großem Widerspruch auf ihre These