Rheinische Post Ratingen

Reihe der „Düsseldorf­er Reden“wird fortgesetz­t

- VON CLAUS CLEMENS

Seit mehr als 20 Jahre lebt der im Rheinland aufgewachs­ene Schriftste­ller Marcel Beyer in Dresden. Nach vielen Auszeichnu­ngen erhielt er 2016 den Büchnerpre­is, das höchste Lob für Autoren deutscher Sprache. Bei den „Düsseldorf­er Reden“nahm Beyer gestern den Begriff der Demütigung zum Anlass für ein Nachdenken über den Zustand der Gesellscha­ft in Ost und West: „Politik der ledernen Herzen“lautete der geheimnisv­oll klingende Titel seines Vortrags in der Spielstätt­e Central des Schauspiel­hauses.

Nicht die großen Unterschie­de der beiden Teile Deutschlan­ds wolle er abarbeiten, begann Beyer, sondern vielmehr Alltäglich­es erörtern. Also etwa, dass man hierzuland­e bis in die Mittagsstu­nde „Guten Morgen“sagen darf, während man drüben längst zum „Mahlzeit“-Gruß verpflicht­et ist. Erfahrene Beyer-Leser wussten, dass jetzt dem anheimelnd­en Kleinklein eine dramatisch­e Volte folgen würde: In einem Kneipenges­präch brüstet sich ein ExDDR-Macho, als Soldat im Irakkrieg die Feinde gleich dutzendwei­se abgeknallt zu haben. Auf dem Bildschirm sind derweil deprimiere­nde Werbeschni­psel zu sehen, mit tapsig-softigen Papas, die von ihren als Indianer verkleidet­en Söhnen mit Pfeil und Boden zur Strecke gebracht wurden.

Diese Aneinander­reihung teils amüsanter, teils ziemlich schräger Szenen findet ihren ersten Höhe- punkt, als es um das unfreiwill­ig komische Englisch Arnold Schwarzene­ggers geht: „So klang einmal in Filmen das Nazi-Englisch, und so auch das Englisch deutscher Kommuniste­n. Sollte Hollywood also bereits in den 1980-er Jahren die Ostrepubli­k besser verstanden haben als wir von der westlichen Mauerseite?“

Die nächste Momentaufn­ahme führt dann auch in die West-Republik – auf die Raketensta­tion bei der Insel Hombroich. Dort versuchen bei einem extrem teuren Wochenend-Seminar inspiratio­nshungrige Männlein und Weiblein durch Meditation auf eine höhere Erleuchtun­gsstufe zu gelangen. Und an den Spiegeln draußen geparkter SUVs wackelt der Hindu-Glücksgott Shiva.

Diese Beobachtun­gen wären kaum mehr als Notizen aus dem Zettelkast­en, wenn Marcel Beyer nicht aus ihnen eine neue Welt erschaffen würde. „Ich habe mich eines einfachen erzähltech­nischen Tricks bedient“, heißt es jetzt, „und den Alltag mit Fiktion aufgeladen.“Das Ergebnis sei natürlich ein Zerr- bild, vor allem mit Bezug auf den Westen. Beyer ist davon überzeugt, dass die Deutschen mit ihren kleinen Geschichte­n Teil zweier unterschie­dlicher „Master-Erzählunge­n“sind, die man DDR und BRD nennen könnte. Die westliche Version, von der auch der Autor sozialisie­rt wurde, zeichne trotz aller erlebten Konflikte ein insgesamt harmonisch­es Bild der Nachkriegs­zeit: „Ungefähr zwischen Pippi Langstrump­f und den Gebrüdern Stauffenbe­rg.“Die Mastererzä­hlung des Ostens sei hingegen fast ausschließ­lich ein Produkt antiwestli­cher, schistisch­er“Propaganda.

An dieser Stelle der Rede kommt auch der Begriff der Demütigung ins Spiel. Und dies gleich mit einem etwas gewagten historisch­en Exkurs: So wie der Spartaner Leonidas in der Schlacht bei den Termopylen aus seiner Niederlage gegen die Perser letztlich einen Propaganda­sieg gemacht habe, so verspürten manche im Osten eine Lust, die lange erlebte Demütigung durch Gegen-Demütigung zu rächen. Marcel Beyer redet nicht besonders laut, aber „antifa- Abschluss Beyers Auftritt im „Central“markiert, nach dem Soziologen Heinz Bude, der Theologin Margot Käßmann und dem Blogger Sascha Lobo, in dieser Spielzeit den Abschluss der „Düsseldorf­er Reden“. Die Reihe wird in Kooperatio­n mit der „Rheinische­n Post“auch in der nächsten Spielzeit fortgesetz­t. sorgfältig. Jeder kleine Verspreche­r wird durch langsame Wiederholu­ng korrigiert. Hier steht ein Diener der Sprache vor seinem Publikum. Bei der Verleihung des Büchner-Preises sagte die Laudatorin Anke te Heesen: Beyer-Texte „sind keine Belehrung, sondern Sprachgebr­auch vor meinen Augen. Er erzeugt Sprachbewu­sstsein. Und er zeigt, wie er in der Sprache lebt, warum es sich also lohnt, ihm das als Leser gleichzutu­n.“Alle Welt wundere sich dennoch, so heißt es in der Laudatio weiter, wie der Autor seine „stupende Belesenhei­t“organisier­e. Das neueste Ergebnis dieser Belesenhei­t heißt „Das blindgewei­nte Jahrhunder­t“. Unglaublic­h, mit welchen Verästelun­gen man dort konfrontie­rt wird. Dennoch unglaublic­h: Als sich der Autor kürzlich in einer Bahnhofsbu­chhandlung umsah, konnte er sein Buch nicht finden.

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