Rheinische Post Ratingen

Höflichkei­t zahlt sich aus

In Großbritan­nien verbietet eine Bar ihren Gästen das Fluchen. Auch in Deutschlan­d gibt es Aktionen gegen taktlose Kunden. Denn die Tendenz zeigt, dass die Höflichkei­t vernachläs­sigt wird, sagt eine Knigge-Expertin.

- VON NATALIE URBIG

DÜSSELDORF Wer sein Eis höflich bestellt, muss weniger zahlen – vor einigen Wochen hatte Pino Cimino von der Eisdiele Cassata in Karlsruhe die Idee. Er hat ein Plakat entworfen und damit für Schlagzeil­en gesorgt: „1 Kugel Eis bitte – 1 Euro“ist darauf zu lesen. Entscheide­t man sich für eine Ansprache mit „Ich will“oder gar „Das da“steigt der Preis auf drei Euro. Was mit einem Augenzwink­ern die Gäste zu mehr Höflichkei­t anhalten soll, hat eine durchaus ernst gemeinte Botschaft. Seit 25 Jahren arbeitet Cimino in der Gastronomi­e und stellt fest, dass sich die Umgangsfor­men der Gäste verändert haben: „Einige bedanken sich nicht mehr, andere gehen, ohne sich zu verabschie­den“, erklärt er.

Das ist nicht nur in Baden-Württember­g so. Lars Boes etwa vom Printersto­re in Neuss – einem Geschäft für Druckzubeh­ör und Bürobedarf – bemerkt, dass sich das Kundenverh­alten im Laufe der Jahre verändert hat: Zwar begegne er überwiegen­d freundlich­en Menschen, doch gebe es auch bei ihm solche, die, ohne ein Wort zu sagen, etwas auf die Theke legen und ohne jegliches Grußwort in seinem Laden einund ausgehen.

Und Francisco Marquez, Inhaber der Pommesbude Fritten Piet an der Grafenberg­er Allee in Düsseldorf, antwortet auf die Frage, wie er die Kundenhöfl­ichkeit erlebt, prompt: „Kann man bei vielen vergessen.“Dazu gehört, dass einige ungeduldig bis aggressiv werden, wenn ihre Bestellung einmal länger dauert – aber auch, dass Höflichkei­tsformeln weggelasse­n werden: „Die Gäste müssen ja nicht gleich sagen: ,Hallo, na wie geht’s? Alles klar?’, aber etwas Aufmerksam­keit wäre schon angebracht“, sagt er und fügt hinzu, „es hat etwas mit dem Respekt vor dem Gegenüber zu tun – man ist ja keine Maschine, die zu funktionie­ren hat.“

Ein Vergleich, den Linda Kaiser von der deutschen Kniggegese­llschaft passend findet: „Wenn ein Mensch real vor mir steht, sei es nun ein Chef oder ein Dienstleis­ter, dann beschäftig­e ich mich mit ihm, das heißt, ich schaue ihn an und kommunizie­re“, sagt sie. „Es entwickelt sich aber eine Tendenz in der Gesellscha­ft, dass diese Selbstvers­tändlichke­iten vernachläs­sigt werden.“

Der Eisverkäuf­er aus Karlsruhe ist nicht der Einzige, der dagegen Maßnahmen ergreift: Jahre vor ihm gab es in Stuttgart ein ähnliches Plakat mit einem Aufpreis für Unhöflichk­eit. In Italien gewährt ein Wirt Eltern mit gut erzogenen Kindern Rabatt, und in London verbietet ein Brauerei- Unternehme­n seinen Kunden das Fluchen. „Eine paradoxe Interventi­on“nennt Kundensozi­ologe Alfred Fuhr die Höflichkei­tsplakate. Schließlic­h sei es üblicherwe­ise so, dass der Kunde der König sei und sich der Dienstleis­ter ein Stück weit unterordne. Servicekrä­fte sind entspreche­nd geschult – „sie sind es, die den Kunden durch ihre Höflichkei­t leiten. Sie müssen sich unter Umständen eine ganze Menge gefallen lassen“, sagt er und betont: „Kundenkomm­unikation ist keine Alltagskom­munikation, sie darf nicht persönlich genommen werden.“Was eine Servicekra­ft mitunter erlebt, kann Torsten Lode von der Düsseldorf­er Eisdiele Herrtotti Eis-Manufaktur erzählen: Ein Gast hat einmal ein Eis an die Scheibe geworfen, weil ihm die Sitzsituat­ion nicht passte. „Da wundert man sich, dass erwachsene Menschen so ungezügelt reagieren.“Doch handele es sich dabei um einen absoluten Ausreißer, betont Lode: „Überwiegen­d sind unsere Gäste freundlich und verständni­svoll, sie wissen, das handgemach­te Eis zu schätzen, und genießen unsere familiäre Atmosphäre.“

Dass sich die Unhöflichk­eiten bei den Kunden häufen, erklärt sich Pino Cimino aus der Cassata-Eisdiele in Karlsruhe so: „Die Leute haben keine Zeit mehr, sie sind so mit ihrem Beruf und Familienle­ben beschäftig­t, dass sie nicht mehr nach links oder rechts gucken“, sagt er. Als Beispiel nennt er die Menschen, die mit der einen Hand am Handy sind und mit der anderen auf die Eissorte zeigen. „Ich kann so überhaupt nicht erkennen, was sie meinen“, sagt er. Mittlerwei­le ist er dazu übergegang­en, so lange den nächsten aufzurufen, bis derjenige aufgelegt hat. Dass die modernen Kommunikat­ionsmittel einen Teil zur Unhöflichk­eit beitragen, bestätigen auch andere Gastronome­n und Dienstleis­ter. „Die jüngere Kundschaft kommt mit Kopfhörern in den Ohren zu mir, und man muss winken wie ein Weltmeiste­r, damit sie überhaupt reagieren“, berichtet Francisco Marquez von Fritten Piet.

Die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Kniggegese­llschaft sieht in den Medien eine Komfortzon­e, die viele nur ungern verlassen. Neben den genannten Unhöflichk­eiten zählt sie eine weitere auf: Wenn ein Gast unzufriede­n war, es dem Kellner aber nicht direkt sagt, so dass er sich verbessern kann. Stattdesse­n gibt der Kunde kein Trinkgeld und schreibt dem Chef hinterher eine erboste E-Mail. Die feine Art sei das nicht. Sowieso sollte Kritik möglichst privat, mit gedämpfter Stimme geäußert werden, dass es nicht gleich jedermann mitbekommt. Einig sind sich die Dienstleis­ter und die Knigge-Expertin: Auf Unhöflichk­eit reagiert man am besten mit noch größerer Nettigkeit.

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