Sagenhafte und artenreiche Heide
Jahrzehntelang haben Panzer die Wahner Heide durchpflügt. Im Schatten der 200 Jahre langen militärischen Nutzung entwickelte sich eine beeindruckende Artenvielfalt, die es mit Geduld und Respekt zu entdecken gilt.
KÖLN „Von Anbeginn der Welt blühte die Heide weiß. Als aber unter den Menschen der Krieg aufkam, da färbten sich vom Blut der Erschlagenen die Heideblümchen rot. So blieb es bis zum heutigen Tag, dass ein weißer Heidebuschen eine Seltenheit geworden ist. Wenn aber eine reine Maid einen solchen findet, wird sie Braut noch im selben Jahr.“
Viele Sagen und Mythen ranken sich um die Wahner Heide. Da passt es, dass an ihrem südlichen Rand in Troisdorf ein Märchenschloss steht. In der Burg Wissem ist das europaweit einzigartige Bilderbuchmuseum zu Hause. Nur einen Steinwurf entfernt befinden sich das Museum für Stadt- und Industriegeschichte der Stadt Troisdorf und das Troisdorfer Heideportal. Diese sind Informations- und Ausgangspunkt für die sogenannte Fliegenbergtour, eine von zehn Rundwanderwegen durch das artenreichste Naturschutzgebiet NordrheinWestfalens. Das 5000 Hektar große Gebiet ist Lebens- raum von mehr als 700 bedrohten Tier- und Pflanzenarten. 8,4 Kilometer lang ist die Fliegenbergtour, die mit einem Schafskopf ausgeschildert ist. Nicht ohne Grund: Im Sommer, wenn die Heide genug Nahrung bietet, kann man unterwegs schon mal auf eine Schafherde treffen.
Die Beweidung – es gibt weitere an anderer Stelle in der Heide mit Wasserbüffeln, Ziegen und Glanrindern – soll helfen, die strukturreiche Heidelandschaft zu erhal- ten, sagt Holger Maria Sticht. Der 45-Jährige kennt die Heide und ihre Fauna und Flora wie kaum ein Zweiter. Sticht ist quasi in der Heide aufgewachsen. Als Kind verbrachte er jede freie Minute dort. Die Verbundenheit mit der Natur prägt sein Leben bis heute, sei es als Landesvorsitzender des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, als Vorsitzender des Schutzbündnisses Heideterrasse, als ehrenamtlicher Heideführer oder als Autor von Naturbüchern. Aus jedem seiner Worte spricht die Ehrfurcht vor und die Sorge um diese einzigartige Landschaft, die seit 1931 unter Naturschutz steht, aber sich nicht allein überlassen werden kann.
Gleich hinter den Troisdorfer Museen ist von Heide aber noch keine Spur. Wir müssen uns gedulden. Durch ein kleines Wäldchen führt der Weg durch einen Hirschpark, in dem Rot- und Sika-Hirsche voneinander getrennt äsen. Wir überqueren den Mauspfad und kommen zur Eremitage am Ravensberghang. Im 17. Jahrhundert stand dort eine zweigeschossige Franziskanerklause, in der wohl nicht nur fromm gebetet, sondern auch ausschweifend gefeiert wurde. Jedenfalls ließ der Kölner Erzbischof die sündige Einsiedelei 1833 abreißen. Vom Ravensberghang stammen auch die ältesten Nachweise von Menschen im Heidegebiet, die dort wohl schon 200.000 Jahre vor Christus aus Quarzit Werkzeuge herstellten.
Unser nächstes Etappenziel ist der Telegraphenberg. Er bietet eine wunderbare Aussicht über die Heide und den Beginn des Bergischen Landes. Seinen Namen verdankt er den Preußen, die dort 1832 eine Telegraphenstation einrichteten, um Nachrichten von Berlin nach Koblenz zu übermitteln. Schon ab 1818 hatte das preußische Militär die Wahner Heide Stück für Stück zum Schießplatz umfunktioniert. Mit Ausnahme von 1926 bis 1933 ist das Gebiet militärischer Übungsplatz geblieben, mehr als 50 Jahre übten die belgischen Streitkräfte dort mit Panzern und nach 2004 die Bundeswehr. Auch wegen dieses Umstandes dürfen die gekennzeichneten Wege nicht verlassen werden, weil im Boden noch explosive Altlasten sein können. Der militärische Status war Fluch und Segen zugleich. Einerseits bewahrte er das Gebiet als großflächig unverbrauchte Landschaft, andererseits verschwand das offene Heide-Buschland unter Espen und Birken.
Mit Mahd und Beweidung werden die letzten Heidelandschaften bewahrt. So wie in der Fliegenbergheide. Im Spätsommer taucht die Besenheide (Calluna vulgaris) den ganzen Hang des Fliegenbergs in ein leuchtendes Violett. So überwältigend, dass Sticht es mit einem „roten Meer“umschreibt. Hier im sonnenwarmen Dünensand sind die seltene Zauneidechse und die ungiftige Schlingnatter zu Hause, die leicht mit der Kreuzotter verwechselt werden kann, aber in der Wahner Heide zuletzt in den 40er Jahren gesehen worden ist.
Wir folgen weiter den Schafskopf-Symbolen vorbei an Quarzitsteinsee und Kronenweiher zum Leyenweiher, der im 19. Jahrhundert zur Fischzucht angestaut wurde. Heute tummeln sich immer noch Fische darin, aber in naturnahem Bestand, zudem ist der Leyenweiher das libellenreichste Gewässer der Heide. Das letzte Stück der Fliegenbergtour führt uns vorbei an den eingestürzten Resten des Brunnenkellers, in dem im 19. Jahrhundert die Bauern mit Hilfe des aufgestauten Heimbachs ihre Milch kühl und damit haltbar hielten. Wen es jetzt auch nach kühlen Getränken dürstet, kann alsbald in der Burg Wissem einkehren.
Im sonnenwarmen Dünensand leben Zauneidechsen und Schlingnattern