Nebenjobs sichern oft das Überleben
Eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie zeigt: Bafög reicht für viele Studenten nicht zum Leben aus.
DÜSSELDORF Eigentlich ist nicht das Geld das Problem, sondern das Zeitmanagement, sagt Sophie Thiele (20), Studentin aus Düsseldorf. „Ich komme schon gut durch den Monat, aber ich hätte gerne mehr Zeit für die Uni.“Thiele hatte ursprünglich gehofft, dass sie sich mit dem Bafög komplett auf ihr Studium konzentrieren kann. Doch wie sich zeigte, lag sie damit falsch. Denn ohne Job kommt die Medien- und Kulturwissenschaftsstudentin nicht aus. Sie hat einen Bafög-Anspruch auf rund 400 Euro. Das Geld geht schon fast komplett für die Miete ihres WG-Zimmers in Düsseldorf drauf. Sophie Thiele darf aber bis zu 450 Euro pro Monat zu ihrem Bafög dazuverdienen. So führt für die Studentin, die ursprünglich aus Aachen kommt, kein Weg an einem Job neben dem Studium vorbei.
Thiele arbeitet nebenbei als Redaktionsassistentin in einem Medienunternehmen. Das hat zur Folge, dass sie von Montag bis Freitag 18 Stunden Nebenjob und vier Tage Uni unterbringen muss. Da bleibt ihr manchmal nichts anderes übrig, als bei der einen oder anderen Vorlesung zu fehlen. „Ich muss oft die Uni ausfallen lassen“, gibt sie zu. Bei Thiele führt ihre aktuelle Situation zu Dauerstress, Schlafmangel und könnte sich noch zu einem Studium mit Überlänge entwickeln.
Die Problematik eines gut gefüllten Terminkalenders kennt auch Kristina Gorytzka. Die 25-Jährige lebt in einer WG in Düsseldorf. Sie hat zwar ein Anrecht auf den BafögHöchstsatz, welcher bei 735 Euro liegt, würde aber etwas mehr Geld zum Leben als angenehmer empfinden. Aktuell arbeitet Gorytzka nicht nebenbei, da sie sich in Ruhe auf ihre Bachelorarbeit konzentrieren möchte. Außerdem möchte sie gerne als Ausgleich zum eher theoretischen Studiengang praktische Erfahrungen sammeln, die ihr dabei helfen, später einen Job in der Medienbranche zu finden. Zu ihren Finanzen sagt Gorytzka: „Wenn ich alle laufenden Kosten gezahlt habe, bleiben ungefähr noch 250 Euro übrig.“Davon muss sie dann noch ihre Lebensmittel, Kleidung und Freizeitaktivitäten bezahlen.
Laut den Ergebnissen einer Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) könnte das Bafög ruhig höher ausfallen. In der Studie wurden die 20. Sozialerhebung 2012 des Deutschen Studentenwerks, die Einkommenund Verbraucherstichproben (EVS) 2013 vom Statistischen Bundesamt und das sozial-ökonomische Panel 2010 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) miteinander abgeglichen. Demnach ergibt sich ein Bedarf von 922 Euro bei alleinlebenden Studenten. Das wären fast 200 Euro mehr als der aktuelle Bafög-Höchstsatz (735 Euro).
Die Studie wurde vom Deutschen Studentenwerk (DSW) in Auftrag gegeben, um den Sozialleistungsbedarf von Studenten zu untersuchen. Der Grund: Bei der Einführung des Bafög 1971 wurde keine empirische Ermittlung angefertigt. Bis heute wurden keine Statistiken verglichen und ausgewertet, die aufzeigen, wie viel Geld Studenten in ihrem Alltag benötigen. Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenwerks, fordert, dass eine neue Bundesregierung nach der Wahl im September den studentischen Bedarf auf der Grundlage aktueller Daten ermittelt, um eine Bafög-Erhöhung auf den Weg zu bringen, die die heute aufgezeigten Förderlücken schließt.
„Die Förderung ist seit Jahren zu gering bemessen, so dass viele zusätzlich noch einen Nebenjob ergreifen müssen“, sagt auch Michael Schema, Koordinator der Studierendenvertretungen NRW (ASten). In NRW lag der durchschnittliche Förderbedarf der Jahresbilanz der Studierendenwerke NRW zufolge bei 440 Euro. Und: Nur etwa jeder siebte Student in NRW erhält Bafög. 2016 wurden nur noch 14,8 Prozent der Studierenden mit Bafög unterstützt – 2015 waren es 16,4 Prozent. Die Quote sinkt seit Jahren. „Das führt natürlich dazu, dass Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern eher von einem Studium abgehalten werden“, kritisiert Schema. In der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks gaben 79 Prozent der befragten BafögEmpfänger an, ohne die Förderung gar nicht studieren zu können. Die ASten fordern einen von Elterneinkommen und Regelstudienzeit unabhängigen Vollzuschuss.
Sophie Thiele und Kristina Gorytzka werden von möglichen Veränderungen wahrscheinlich nicht mehr viel mitbekommen. Sie freuen sich bereits darauf, einen festen Job zu haben und finanziell vollkommen unabhängig zu sein. Vom ersten Gehalt, erzählen sie, wollen sie verreisen.