Der Zirkus ist in der Stadt
Die furiosen Bundesliga-Starter von Borussia Dortmund empfangen heute in der Champions League Titelverteidiger Real Madrid. Ein größeres Versprechen auf ein unterhaltsames Fußballspiel scheint derzeit kaum denkbar.
DORTMUND Das ist wirklich gemein. Kaum hat sich die Welt damit abgefunden, dass Real Madrid auch auf lange Sicht im Fußball das Maß der Dinge ist, da schickt der Fußballgott in all seiner unergründlichen Weisheit eine ausgewachsene Krise ins königliche Land. Nach sechs Spielen in der spanischen Liga liegt der Meister sieben Punkte hinter dem ewigen Konkurrenten FC Barcelona. Nur ein mühsamer 2:1-Erfolg bei Deportivo Alaves verhinderte ein weiteres Absacken in der Tabelle. Die wie immer bildschön aufgeregten spanischen Medien malen bereits das düstere Bild der Götterdämmerung um den großen Zinedine Zidane an die Wand. Die Titel der jüngeren Vergangenheit, unter anderem zwei aufeinanderfolgende Siege in der Champions League, werden gelassen unterschlagen. Zidane bringt das allerdings nicht aus der Fassung. „Lasst uns in Ruhe“, sagte der Coach, der unlängst erst seinen Vertrag bis 2020 verlängerte, „es kommen auch wieder bessere Zeiten.“
Das wird notwendig sein. Vielleicht sieht es schon heute Abend (20.45 Uhr) wieder ganz anders aus, und die kritische spanische Öffentlichkeit ergeht sich wieder in außerordentlichen Lobeshymnen. Dazu müsste allerdings im ChampionsLeague-Gruppenspiel bei Borussia Dortmund zumindest mal ein positives Ergebnis her.
Dagegen haben in erster Linie die Dortmunder etwas. Sie gehen mit der Empfehlung des besten Bundesligastarts ihrer Geschichte (sechs Siege, ein Gegentor), aber auch mit der Hypothek einer 1:3-Niederlage bei Tottenham Hotspur im ersten Gruppenspiel in die Begegnung. „Wir müssen aus der Erfahrung des Tottenham-Spiels lernen“, sagt Borussias Trainer Peter Bosz. Bei den Briten wurden seiner Mannschaft Nachlässigkeiten in der Abwehrarbeit zum Verhängnis. Ähnliche Fehler im Zweikampfverhalten wird Real sicher ebenfalls bestrafen.
In dieser taktischen Sparte ist der Titelverteidiger ganz groß. Davon können beispielsweise die Bayern nach dem Ausscheiden im Viertelfinale in der vergangenen Serie ein garstiges Lied singen. Die Mittelfeldstrategen Toni Kroos und Luka Modric warten nur auf Einladungen zu präzise vorgetragenen Kontern. Sie haben auch die richtigen Partner für schnelle Gegenangriffe. Cristiano Ronaldo schminkt sich in zunehmendem Alter publikumswirksame Mätzchen ab, er beschränkt sich immer häufiger auf seine ausgeprägten Qualitäten im Abschluss. Gelegentlich bleibt er im Spiel häufig mal unsichtbar, an seinen sagenhaften Trefferquoten hat das nichts geändert.
Sein bevorzugter Partner ist der Franzose Karim Benzema, der gern unterschätzte Arbeiter in der Offensive. Er beherrscht die Kunst, die von Fußball-Sachverständigen mit dem anschaulichen Begriff belegt wird, er sei einer, der den Ball „vorne festmachen kann“. Benzema ist ein Zweikämpfer mit Blick für die Nebenleute und einer beachtlichen Schusstechnik. Noch plagt er sich aber mit einer leichten Verletzung herum. Sein Einsatz ist nicht gesichert.
Auf die Dynamik des brasilianischen Linksverteidigers Marcelo muss Real in Dortmund auf jeden Fall verzichten. Er hat sich einen Muskelfaserriss zugezogen und muss noch drei Wochen zuschauen. Das wird den Dortmunder Lukasz Piszczek besonders freuen, es erweitert die Entfaltungsmöglichkeiten für den Polen auf der rechten BVB-Defensivseite.
An Real haben die Westfalen ohnehin ganz gute Erinnerungen. Sie blieben im vergangenen Jahr, als beide Teams in der Gruppenphase aufeinander trafen, ungeschlagen. Zweimal gab es ein 2:2 – beste Unterhaltung inklusive. Dem steht auch heute erst einmal nichts im Wege. „Wir sind frisch“, versicherte Dortmunds Trainer Bosz. Davon durften sich bedauernswerte Mönchengladbacher am Samstag überzeugen. Sie kassierten sechs Gegentreffer. So schlimm wird’s Real nicht ergehen.