Seehofer massiv unter Druck
Der CSU-Chef sieht sich mit zahlreichen Rücktrittsforderungen von der Basis konfrontiert. Bei der AfD kündigt Parteichefin Frauke Petry den Austritt an, auch NRW-Chef Pretzell verlässt Fraktion und Partei.
BERLIN/MÜNCHEN Wenige Tage nach dem Absturz der CSU auf 38,8 Prozent in Bayern bei der Bundestagswahl gibt es aus Orts-, Kreis- und Bezirksverbänden sowie der Landtagsfraktion Rufe nach einer Ablösung von Parteichef Horst Seehofer. Seehofer will die Debatte Mitte November auf dem CSU-Parteitag führen, wenn ohnehin der Vorstand neu gewählt wird. Mit Spannung wird aber die heutige Sitzung der CSU-Landtagsfraktion erwartet. Bekommt Seehofer dort die Kritiker nicht gebändigt, könnte es nach Einschätzungen aus CSU-Kreisen schnell eng für ihn werden. Die Befürchtung ist verbreitet, dass der Eintritt in ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen im Bund die Aussichten der CSU bei der Landtagswahl 2018 zusätzlich verschlechtert.
Am Rande der Konstituierung der neuen CSU-Landesgruppe in Berlin mit dem bisherigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt an der Spitze verlangte Seehofer, die Unionspolitik mit der Botschaft „Wir haben verstanden“zu versehen. Dobrindt betonte, innerhalb der Landesgruppe gebe es keine Personaldebatte. Allerdings sprach sich auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann für einen Rücktritt Seehofers aus. „Er hat große Verdienste um die CSU, unsere Glaubwürdigkeitskrise hat allerdings auch gerade mit ihm zu tun“, sagte Hoffmann dem „Main-Echo“.
In der CSU-Landtagsfraktion in München meldeten sich vor allem Politiker aus der fränkischen Heimat des Seehofer-Rivalen Markus Söder zu Wort. „Wir brauchen einen anderen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl“, forderte etwa der Landrat und Landtagsabgeordnete Alexander König. Auch die CSU in der Oberpfalz forderte eine aktuelle Debatte über einen geordneten Übergang. Seehofer warnte davor, dadurch die CSU zu beschädigen.
In der Unionsfraktion rumort es ebenfalls nach dem schwachen Wahlergebnis. Dass die Fraktion dem Kurs der CDU-Führung in Richtung eines Jamaika-Bündnisses nur in Teilen folgt, zeigte die Wiederwahl von Fraktionschef Volker Kauder, der mit nur 77 Prozent einen deutlichen Dämpfer erhielt. Bei früheren Wahlen hatte er stets deutlich über 90 Prozent gelegen.
Auch der Start der AfD im Bundestag wird von schweren Erschütterungen begleitet. Zwar wählte die Bundestagsfraktion die beiden Spitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel mit deutlicher Mehrheit zu ihren neuen Vorsitzenden. Zugleich aber kündigte die Parteivorsitzende Frauke Petry ihren Austritt aus der AfD an und zog sich mit Gleichgesinnten auch aus der AfD-Fraktion in Sachsen zurück. Petry begründete ihren Schritt mit der „Radikalisierung“in der Partei. In Düsseldorf erklärte Partei- und Fraktionschef Marcus Pretzell, Petrys Ehemann, seinen Rückzug.
Dadurch schrumpft die AfD-Fraktion in NRW von 16 auf 14 Mitglieder; neben Pretzell will auch Alexander Langguth die Fraktion verlassen. Er habe die Situation anders eingeschätzt als die anderen Mitglieder der Fraktion, verlautete von Pretzell zur Begründung. In Dresden folgen Fraktionsgeschäftsführer Uwe Wurlitzer und Vizefraktionschefin Kirsten Muster Petrys Schritt. Ob sie nun eine neue Partei gründen will, ließ die bisherige AfD-Vorsitzende ebenso offen wie den Zeitpunkt für ihren Austritt aus der Partei. Auf die Frage, ob auch im Bundestag mit weiteren abtrünnigen Abgeordneten zu rechnen sei, sagte Parteivize Alexander Gauland: „Ich hoffe nicht.“Leitartikel Seite A2 Sonderseiten A4 bis A6