Kann das weg, oder wird das Kunst?
Der Müll scheint allgegenwärtig, nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch am Straßenrand. Bevor Politiker anfingen, Antworten auf ökologische Fragen zu suchen, waren die Künstler schon da – zum Beispiel HA Schult.
DÜSSELDORF Es war Ende der 1950er, als HA Schult die Müllberge sah. „Meine Kollegen – Richter, Polke und so weiter – pinselten damals wie die Weltmeister“, erzählt der Künstler, nur Schult nicht. Der sah aus dem Fenster der Kunstakademie Düsseldorf. Was der Student dort sah, waren Müllberge am Horizont – und, klar, natürlich gab es sie nicht wirklich, die Akademie liegt an keiner Müllkippe. Was Schult sah, war vielmehr eine Vision. „Damals gab es plötzlich die ganzen Bosch-, Grundig- und Braun-Geräte, aber niemand hat darüber nachgedacht, was damit mal passiert“, sagt er. Kurzum: Der Künstler sah sie auf dem Müll.
Das ist 60 Jahre her, und Richter pinselt nicht mehr nur, er rakelt mittlerweile auch gern. HA Schult hat sein Thema seitdem nicht mehr losgelassen. „Umwelt war damals ein Fremdwort“, sagt er. Heute ist es eins der großen Politikfelder. Schult gilt als Pionier einer Kunst, die sich früh mit den Problemen befasste. „Wir Künstler waren es, die das Thema in die Öffentlichkeit trugen“, sagt er. Schon in den 1960ern und 70ern warf Schult eine Straße in München-Schwabing und den Markusplatz in Venedig mit Papier zu und machte die Probleme für alle sichtbar. Kunst-Superstar Joseph Beuys engagierte sich später ja sogar bei den Grünen. „Der Jupp ist mit Verspätung aufgesprungen“, sagt Schult.
Wer Pessimist ist, sagt: Geändert hat sich trotzdem nichts. Ende vergangenen Jahres ging eine Studie um, wonach jedes sechste Leben durch Umweltverschmutzungen verkürzt wird, vornehmlich durch schlechte Luft. Auch das Müll-Problem ist längst nicht gelöst, der Müll scheint allgegenwärtig, nicht nur in den Weltmeeren, auch am Straßenrand liegt er, achtlos weggeworfen.
Wer Optimist ist, findet, dass längst umgedacht wird: Bahnhofsbäckereien geben Rabatt, wenn man seinen eigenen Kaffeebecher mitbringt, in Upcycling-Workshops wird Altes aufgemotzt; und erst gestern erreichte uns eine schöne Geschichte aus der Türkei: Dort haben Müllmänner mit weggeworfenen Büchern eine Bibliothek eröffnet. Knapp 5000 Werke umfasst sie. Darunter nicht nur Schrott, ist zu hören.
Auch Schult sammelte einmal den Müll eines anderen ein. 1974 war das und Franz Beckenbauer gerade Fußballweltmeister geworden. Eines Tages stahl Schult dessen Müll und stellte ihn im Münchner Lenbachhaus aus. Beckenbauers Kommentar: Er verstehe nichts von Kunst. Seine Gattin indes hegte Zweifel an der Aktion, weil sich unterm Müll auch eine Käseverpackung der Marke Rambol befand, und der kam bei den Beckenbauers nicht auf den Tisch. Es müsse darum der Müll des Hausmeisters sein, mutmaßte sie – so erinnert sich Schult. „Der Müll bekam plötzlich ein soziales Gefälle“, sagt der Künstler. „Es war nicht der Müll des Kaisers, sondern seines Hausmeisters.“
Zuletzt machte der Künstler mit einer Skulpturen-Armee aus Müll von sich reden. Die „trash people“standen seit 1996 zu Hunderten auf der Chinesischen Mauer, auf dem Roten Platz in Moskau oder vor den Pyramiden in Gizeh. Anders als Künstler wie Robert Rauschenberg, die Fundstücke in ihre Arbeiten integrierten, lasse er den Müll stattfinden, sagt Schult. „Die Müllmänner sind auf Zeit gebaut, aber in den Köpfen oder im Dialog mit den Medien leben sie weiter.“
Schults Kunst ist es auch, Aufmerksamkeit zu erzeugen, das hat er mit Aktionskünstlern wie Christo und Jeanne-Claude gemeinsam, deren gestapelte Ölfässer einst 400.000 Menschen ins Oberhausener Gasometer lockten. Die Fässer lasen manche als Kommentar auf Energiekrisen und Strukturwandel, die Künstler indes wurden nimmer müde zu betonen, sie schafften Kunstwerke, keine Symbole. Nicht nur Architekturkunst, sondern auch ein Symbol ist hingegen etwa die Cardboard Cathedral im neuseeländischen Christchurch. die der Architekt Shigeru Ban dort nach dem Erdbeben 2011 errichtete. Sie besteht teils aus Karton, das Fundament aus Schiffscontainern. Ein Provisorium. Gut zu recyceln.
Besonders an der Kunst aus Gebrauchtem ist, dass das Material immer schon Bedeutung in sich trägt, Spuren aufweist. Jede Cola-Dose in einer Müllmann-Skulptur löst eine Reihe von Assoziationen aus. „Im Müll liegt die Wahrheit“, sagt Künstler Schult. Zuweilen liegt in der Tonne auch das Geld. Beckenbauers Hausmüll jedenfalls verkaufte Schult damals für 20.000 Mark. Kurz darauf rief laut Schult dessen Manager an. Der wollte die Hälfte ab.