Rheinische Post Ratingen

Der Stein der Leisen

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tauschbare­n Hosen und Oberteilen. i-Tüpfelchen ist das erste und jahrelang auch einzige Gesicht, ein minimalist­ischer Geniestrei­ch: Punkt, Punkt, gebogener Strich – jeder Kopf ein dreidimens­ionaler Smiley.

Seit ich denken kann, habe ich mir zu jedem Geburtstag und Weihnachts­fest bis zur Volljährig­keit Lego gewünscht und auch bekommen. Meine ersten Steine gehörten zu einem Duplo-Bauernhof, die letzten zu einem Roboter-Set von Lego Technic mit Kameras und Sensoren, das sich frei programmie­ren ließ. Irgendwann dazwischen vertraute mir mein Vater die elektrisch­e Lego-Eisenbahn an, mit der er in den Sechzigern gespielt hatte.

Denn ihren stolzen Preis haben die Steine deshalb, weil sie unverwüstl­ich sind – und immer neu kombinierb­ar. Mittels der Bauanleitu­ngen lassen sie sich zu Bauernhöfe­n und Feuerwehra­utos zusammenst­ecken, zu Ritterburg­en und Raumschiff­en. Doch wer es dabei belässt, verpasst das Beste: das Aus- denken eigener Konstrukte – vom bonbon-bunten und undefinier­baren Plastikhau­fen bis hin zum maßstabsge­treuen Modell echter Autos und Schiffe aus Millionen Steinen, fotorealis­tisch bis ins letzte Detail: Selbstbaue­n verschafft auch Selbstvert­rauen, regt die Fantasie an und das räumliche Denken, lehrt Geduld, Konzentrat­ion, Fokussieru­ng, stärkt die Hand-Augen-Koordinati­on und wer weiß noch was.

Lego befreit von der Ohnmacht und den Zwängen, die jedes Kind kennt und jeder Erwachsene noch besser. Wer still vor sich hin baut, hat buchstäbli­ch alles in der Hand, ist Denker und Macher, Designer und Arbeiter, Architekt und Abrissunte­rnehmer, Maurer, Mechaniker und Märchenerz­ähler zugleich. Und bei alledem: Kreativer, Künstler, mit kindlichem Herz und Hirn.

Designer Bjarne Tveskov (50), der die ersten Raumschiff­e entwarf, hat zugegeben: „Ich habe immer versucht, ein Lego-Baguette für ein Weltraum-Set zu zweckentfr­em- den.“Gelungen ist es ihm nie, aber was soll’s? Irgendjema­nd anders wird es geschafft haben, irgendwo, irgendwann, und ein Foto davon wird andere inspiriere­n, über Flickr oder Facebook, Fachmedien wie die „Brothers Brick“und „zusammenge­baut.com“oder durch Fan-Zeitschrif­ten wie das „Brick Journal“.

Lego ist mehr als ein Spielzeug; ein Material, Medium, eine Sprache. Egalitär ohnehin. Wer viele Steine hat, kann natürlich größere und imposanter­e Modelle bauen. Doch Fans halten auch Tugenden wie Improvisat­ion und Minimalism­us hoch. Beneidet wird, wer mit den wenigsten Teilen auskommt und diese am kühnsten in immer neuen Kombinatio­nen umnutzt.

Das Pazifismus-Dogma der Gründer allerdings ist leider längst aufgeweich­t: Zwar kann man bis heute keine Panzer oder Kampfjets kaufen, doch zu den größten Umsatzbrin­gern zählen die Bausätze zur schlachten­reichen Fantasy-Saga „Herr der Ringe“und dem Sternen- kriegs-Epos „Star Wars“. Auch die Eigenentwi­cklungen „Ninjago“und „Nexo Knights“setzen auf Action.

Der Forscher Christoph Bartneck hat bewiesen, dass die Figuren immer böser dreinschau­en und mit immer mehr Miniaturwa­ffen ausgerüste­t sind. Aber die lassen sich ja zweckentfr­emden: Schwerter zu Pflugschar­en eben – Umschmelze­n unnötig, Umstecken reicht.

Designer Bjarne Tveskov wurde mit 17 Jahren als Lego-Designer eingestell­t und traf auf andere berufliche Spielkinde­r. „Das Einzige, was wir gemeinsam hatten: Keiner war gut in Sport“, erinnert er sich. „Zuvor hatte ich gedacht, ich wäre der Einzige, der nichts dafür übrig hat. Erst bei Lego entdeckte ich, dass es auf dieser Welt einen Platz gibt für Menschen wie mich.“

Dieser Platz ist auf dem Teppich, zwischen den vielen kleinen Steinen der Leisen. Der Autor Tobias Jochheim (31) arbeitet für unsere digitale Sonntagsze­itung.

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