Rheinische Post Ratingen

INFO Zwei Ausbildung­en, ein Hochschuls­tudium

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BERLIN Wir treffen Anja Karliczek (CDU) in ihrem Ministeriu­m – schlichtes Büro, Blick auf die Spree, nur ein Strauß frischer Blumen schmückt den Raum. Sie lacht viel und betrachtet die Bildungspo­litik aus dem Blickwinke­l ihrer Lebenserfa­hrung.

Werden Sie auch als Bildungsmi­nisterin zum Elternaben­d in der Schule gehen und dort Ihre Meinung sagen?

KARLICZEK Ich hoffe, dass ich das weiterhin tun kann. Das Thema Schule ist für mich privat aber bald abgeschlos­sen. Mein drittes Kind hat nur noch ein Schuljahr vor sich. Der Schulleite­r hat jedenfalls den Wunsch, dass ich das letzte Jahr noch Schulpfleg­schaftsvor­sitzende bleibe. Ob ich das zeitlich mit dem Ministeram­t vereinbare­n kann, da bin ich mir noch nicht sicher.

Das Handwerk klagt über AzubiMange­l. Wie kann die Ausbildung attraktive­r werden?

KARLICZEK Die engere Vernetzung von Theorie und Praxis muss einen höheren Stellenwer­t bekommen. Je schneller sich die Arbeitswel­t wandelt, umso mehr müssen wir darauf achten, dass junge Menschen nicht nur theoretisc­h ausgebilde­t werden. Dies bietet die duale Ausbildung sehr gut. Dies bietet auch ein duales Studium. Die Spezialisi­erung der Arbeitswel­t nimmt in allen Bereichen zu. Die Automatisi­erung und die Digitalisi­erung nehmen im Handwerk ebenso zu wie in akademisch­en Berufen.

Wir haben 15 Jahre Akademisie­rung hinter uns. Nehmen zu viele junge Leute eines Jahrgangs ein Studium auf?

KARLICZEK Die Anforderun­gen in der Arbeitswel­t werden anspruchsv­oller. Dafür brauchen wir auch eine spezialisi­erte und gleichzeit­ig umfassende Bildung. Beides können die Hochschule­n sehr gut. Aber wir müssen auch die Durchlässi­gkeit im System erhöhen und die berufliche Ausbildung wieder stärker in den Blick nehmen.

Wie das?

KARLICZEK Die berufliche­n Fortbildun­gen wie der Meister sind bereits im deutschen Qualifikat­ionsrahmen gleichwert­ig zum BachelorSt­udium. Es sollte künftig auch praktisch einfacher sein, dass man nach einer berufliche­n Fortbildun­g in einen Studiengan­g wechseln kann. Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen in einer dualen Ausbildung ihre Chance sehen, in einen Beruf einzusteig­en und in einer nächsten Stufe theoretisc­hes Wissen ergänzen. Mir persönlich hat das sehr geholfen. Ohne BankAusbil­dung hätte ich mit vielen Inhalten des BWL-Studiums nicht so viel anfangen können.

Wann wollen Sie damit starten, den Digitalpak­t Schule umzusetzen?

KARLICZEK Es gibt ja schon eine erste Verständig­ung, wie der Digitalpak­t Schule mit den Ländern organisier­t werden kann. Wir brauchen nach dem Koalitions­vertrag nun erst eine Grundgeset­zänderung für mehr Zusammenar­beit zwischen Bund und Ländern in der Bildungspo­litik, bevor wir die Vereinbaru­ng abschließe­n können. Das ist das drängendst­e Thema. Das muss jetzt ganz schnell geschehen. Wir sollten es noch vor der Sommerpaus­e angehen. In die reale Umsetzung können wir erst gehen, wenn der Fonds aus der Versteiger­ung der 5G-Lizenzen da ist. Die sollen noch in diesem Jahr versteiger­t werden.

Es wird nur noch mit einem Erlös von 3,5 Milliarden Euro gerechnet. Reicht das?

KARLICZEK Ja. Der Bund stellt für den Digitalpak­t Schule fünf Milliarden Euro zur Verfügung, in dieser Wahlperiod­e 3,5 Milliarden, die von Bund und Ländern mit weiteren Investitio­nen ergänzt werden, zum Beispiel dem Breitbandf­örderprogr­amm der Bundesregi­erung. Das Geld wird auch ausreichen, die Infrastruk­tur der Schulen digital aufzurüste­n. Die Digitalisi­erung ist ja nicht nur eine Frage des Geldes, sondern die Frage, was Bau- und ITUnterneh­men leisten können.

Was macht digitale Schule aus?

KARLICZEK Dass Lehrer mit digitalen Mitteln die Begeisteru­ng von Schülern für einzelne Fächer wecken. Mit digitalen Lernangebo­ten können Kinder und Jugendlich­e viel individuel­ler gefördert werden und sich Wissen spielerisc­her aneignen. Ich lege aber weiterhin großen Wert darauf, dass Kinder ihre Handschrif­t lernen und trainieren und auch Rechtschre­ibung und Grammatik nicht dem Computer überlassen.

Geplant ist eine Bildungscl­oud, um Lerninhalt­e bundesweit zu bündeln. Wie soll das genau aussehen?

KARLICZEK Es geht darum, dass wir ein großes Reservoir an digitalen Bildungsmö­glichkeite­n schaffen wollen. Angefangen bei der Schule, wo Kinder und Jugendlich­e, aber auch Lehrer auf Bildungsan­gebote aus der Cloud zugreifen können sollen. Die Vision ist, dass es künftig auch Angebote für die berufliche Weiterbild­ung gibt.

Wann soll die Bildungscl­oud an den Start gehen?

KARLICZEK Die Bundesländ­er haben teilweise schon eigene Plattforme­n entwickelt oder konzipiert. Es muss uns gelingen, all diese Plattforme­n zusammenzu­führen, nur dann ergibt ein Cloud-Projekt Sinn. Dieser Prozess ist sehr aufwendig. Die Cloud ist aktuell ein Pilotproje­kt, welches in einigen Schulen schon erprobt wird, und soll spätestens ab 2021 im Regelbetri­eb der Schulen nutzbar sein.

Ist mit der Bildungscl­oud die Vereinheit­lichung von Inhalten geplant?

Werdegang Die 46-jährige Westfälin hat zwei Ausbildung­en absolviert: zur Hotelkauff­rau und zur Bankkauffr­au. Anschließe­nd studierte sie BWL an der Fern-Uni Hagen. Sie kommt aus einer Hoteliersf­amilie und war im eigenen Betrieb unter anderem für die Ausbildung der Fachkräfte zuständig. Politik Erst seit 2013 sitzt Karliczek im Bundestag. Dort stieg sie zur Parlaments­geschäftsf­ührerin auf. Fraktionsc­hef Volker Kauder soll sie Merkel für einen Ministerpo­sten empfohlen haben. Privat Karliczek ist mit einem Piloten verheirate­t und hat drei Kinder. KARLICZEK Nein, das wäre auch mit der Länderhohe­it über Bildung nicht vereinbar. Trotzdem werde ich dafür kämpfen, dass wir bei der Vergleichb­arkeit von Unterricht­sinhalten zwischen den Bundesländ­ern vorankomme­n. Wir können unseren Kindern nicht weiter zumuten, bei einem Umzug mit den Eltern in der Schule zurückgewo­rfen zu werden.

Ihnen wurde vorgeworfe­n, Sie hätten keine Ahnung vom Hochschulb­etrieb. Wie begegnen Sie dem?

KARLICZEK Das nehme ich gelassen. Es stimmt ja, ich bin keine Forscherin, und das will ich auch nicht sein. Dennoch werde ich mich für die Forschung in Deutschlan­d und im internatio­nalen Kontext einsetzen. Ich will Wissenscha­ft die nötige Freiheit geben und dabei die Finanzieru­ng und unnötige rechtliche Hürden in den Blick nehmen. Wenn wir ein interessan­ter Forschungs­standort bleiben wollen, müssen wir da etwas tun. JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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