Rheinische Post Ratingen

Der Tischtenni­s-Kaiser

100 Millionen Chinesen fiebern mit, wenn Ma Long (29) aufschlägt. Gestern hat er die German Open gewonnen. Wer ist dieser Nationalhe­ld, der die Tischtenni­s-Weltspitze dominiert? Eine Begegnung in Bremen.

- VON JESSICA BALLEER

BREMEN Als Ma Long den Matchball zum 4:1 gegen Timo Boll verwandelt, ballt der Chinese kurz die Faust. Bei den German Open hat er sich gerade mit der Nummer eins der Welt, Boll, ein hochklassi­ges Viertelfin­alduell geliefert. Ma dreht ein 4:9 im vierten Satz, dann ein 5:10 im fünften Durchgang. Doch er jubelt nicht laut. Er klatscht mit allen ab und winkt trotz Weltklasse-Leistung eher schüchtern gen Tribüne.

Wäre Ma Long ein Fußballpro­fi, Bremens früherer Trainer Thomas Schaaf hätte seine Freude an dem 29-Jährigen gehabt: ruhig, bodenständ­ig, voll auf Erfolg aus. Das Bremer Publikum in der ÖVB-Arena honoriert das. Obwohl „ihr Timo“gerade ausgeschie­den ist, applaudier­en rund 5000 Fans dem Chinesen. Für Ma war dieser Halbfinale­inzug harte Arbeit. Er sinkt auf einen Stuhl, vergräbt die filigranen Hände und das Gesicht im Handtuch. Sekunden nach dem Triumph wirkt dieser Nationalhe­ld und derzeit wohl beste Tischtenni­sspieler der Welt mal nicht wie ein Roboter.

Fast zwei Jahre lang stand er ununterbro­chen an der Spitze der Weltrangli­ste. Erst Dimitrij Ovtcharov gelang es, ihn im Februar abzulösen. Eine Handgelenk­sverletzun­g und die Berechnung der Weltrangli­ste, die Ausfallzei­ten bestraft, warfen Long zurück. Fortan galten Boll und Ovtcharov nicht mehr nur als ärgste Herausford­erer der traditione­ll übermächti­gen Chinesen. Sie hatten sie laut Rangliste hinter sich gelassen. „Das hat die Chinesen massiv geärgert“, sagt Thomas Weikert, Präsi- dent des Internatio­nalen Tischtenni­sverbandes, „darum waren sie hier in Bremen von Beginn an heiß“.

In der Mixed Zone wartet nach dem Viertelfin­ale eine Hand voll Journalist­en aus China. Daheim dürften wieder Hundert Millionen Fans mitgefiebe­rt haben. Die Euphorie ist den Medienleut­en anzumerken, einer macht gleich ein Selfie mit Ma. Er nimmt das hin. Dem Sender „CCTV“beantworte­t er dann exakt eine Frage und entschwind­et, ohne die beiden ausländisc­hen Journalist­en eines Blickes zu würdigen. Ma Long lässt das ungelöste Rätsel seiner Gefühlswel­t zurück.

In der chinesisch­en Provinz Anshan im Norden Chinas gewann er seinen allererste­n Titel, das hat er dem „New York Times Travel Magazine“verraten. Im Alter von zwei oder drei Jahren war das, genau wisse er das nicht mehr. Wie passend für den Athleten, der sich an Niederlage­n klar erinnern kann, an Siege aber meist nicht. Mit elf Jahren verließ er die Heimat, ging ins 100 Kilometer entfernte Shenyang und dann nach Peking. Ma zog aus, um der beste Spieler der Welt zu werden. Es gibt Bilder davon, wie er als Schüler mit einem Orden für „harte Arbeit“geehrt wird. Er lächelt schüchtern, als sei ihm Aufmerksam­keit schon damals unangenehm gewesen.

„Ich fühlte mich nie danach, im Spiel laut zu jubeln. Mein Trainer zwang mich aber, und ich tat es widerwilli­g“, sagt Ma. Der Olympiasie­ger und Doppel-Weltmeiste­r rangiert seit mehr als zehn Jahren in den Top Ten der Welt. Er ist der Roger Federer des Tischtenni­s – nur jünger. Ma Longs Spiel lebt von seinem

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FOTO: DPA Ma Long konzentrie­rt sich im Halbfinale der German Open in Bremen auf seinen Aufschlag. Am Ende gewinnt der Chinese das Turnier zum fünften Mal.

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