„Wir haben es satt, das Flüchtlingslager für ganz Europa zu sein“
Matteo Salvini ist der Politiker der Stunde in Italien. Und das nicht nur, weil der neue Innenminister fast jeden Tag ein neues Tabu bricht. Erst bezeichnete der 45-Jährige aus Mailand Tunesien als einen Staat, der vor allem „Gauner“exportiere. Dann verwehrte er dem mit 632 Flüchtlingen beladenen Schiff „Aquarius“einer französischen Hilfsorganisation die Landung in einem italienischen Hafen. Auch andere Nichtregierungsorganisationen sollen fortan die Häfen ihrer Heimatländer anfahren und nicht mehr Italien, fordert der Innenminister. Gerade kündigte Salvini eine „Volkszählung“von Sinti und Roma an. Die Roma mit italienischer Staatsbürgerschaft könne man nicht ausweisen, man müsse sie „leider behalten“. Salvinis Getöse hat lediglich einen einzigen Adressaten: die italienischen Wähler. Immer mehr von ihnen sind offenbar einverstanden mit den drastischen Tönen und Gesten aus Rom.
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ixè zufolge halten 72 Prozent der Italiener die kompromisslose Linie Salvinis in der Ausländerpolitik für richtig. Die rechtsnationale Lega, deren Parteichef Salvini seit 2013 ist, erlebt dieser Tage gar einen Boom. Bei der Parlamentswahl vor fünf Jahren erzielte die Lega, die damals noch den Beinamen Nord trug, gerade einmal vier Prozent der Stimmen. Unter Salvini, der die einst sezessionistische Partei italienweit aufstellte, vervierfachte sich der Stimmenanteil bei derWahl im März. Heute, knapp vier Monate später, würden Umfragen zufolge rund 30 Prozent der Italiener der Lega und damit Salvini ihre Stimme geben. Der nominell stärkere Koalitionspartner, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, ist ins Hintertreffen geraten. Premierminister Giuseppe Conte vertritt Italien bei inter- nationalen Gipfeltreffen. Doch es ist Vizepremier Salvini, der Italiens Agenda bestimmt.
Salvini, ganz im Einklang mit den anderen Rechtspopulisten in Europa und Übersee, bedient dabei vor allem Emotionen. Über Fremdenangst wird in Italien selten offen gesprochen, man wirft sich lieber Schlagwörter wie „Rassismus“oder „Gutmenschentum“an den Kopf. Xenophobie ist aber über rechtsnationale Kreise hinaus weit verbreitet. Das zeigt auch die relative Wirkungslosigkeit der inzwischen extrem strikten Asylpolitik in Italien. Die Stimmung im Land hat sich damit nicht geändert, das zeigt der Erfolg Salvinis. Die sozialdemokratische Vorgängerregierung verringerte die Zahl der über das Mittelmeer ankommenden Flüchtlinge drastisch. 2017 kamen knapp 120.000 Menschen an, schon das bedeutete einen Rückgang gegenüber dem Rekordjahr 2016, als 180.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer kamen. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden in Italien gerade einmal 16.000 Ankömmlinge gezählt. Die mit Libyen und Transitstaaten wie dem Niger geschlossenen Deals, für die man sich auch die Dienste ehemaliger Schlepper sicherte, sind dafür ausschlaggebend.
Dennoch ist das Gefühl, einer Invasion ausgesetzt zu sein und dabei von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen zu werden, in Italien verbreitet. „Wir haben es satt, das Flüchtlingslager für ganz Europa zu sein“, tönt Salvini und trifft damit den Nerv seiner Landsleute. Nun schließt sich der Innenminister mit seinen EU-Amtskollegen kurz. Mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gab es vergangeneWoche bereits ein langes Telefonat, ein Besuch in Berlin soll möglichst bald folgen. Am Dienstag war der niederländische Amtskollege zu Besuch, am Mittwoch traf sich Salvini mit dem österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie Innenminister Herbert Kickl (bei- Matteo Salvini Italienischer Innenminister