Rheinische Post Ratingen

Im Namen des Weltkanzle­rs unterwegs

Die Düsseldorf­erin Kristina Spohr ist zur ersten Inhaberin der Helmut-Schmidt-Professur in Washington ernannt worden.

- VON UWE-JENS RUHNAU

Sie ist in der Geschichte zu Hause und hat die Gegenwart im Blick. Letztere ist in diesen Tagen für eine Polit-Expertin wie Kristina Spohr auch verstörend, wie sie für alle Beobachter verstörend ist, die auf Rationalit­ät und Diplomatie setzen. Ein Treffen der G 7, dessen Abschlussd­okument US-Präsident Trump mit einem Tweet aus der Air Force One pulverisie­rt? Eine emotionale Reaktion, die zunichte machen soll, um was Staatenlen­ker über Tage gerungen haben, nur weil der kanadische Premiermin­ister etwas Kritisches gesagt hat? Kristina Spohr fällt dazu viel ein, denn die in Düsseldorf­er geborene Historiker­in hat die Geschichte der Gipfel-Diplomatie erforscht und wird ihre Lehren nun da vertiefen und ausbreiten, wo sie vielleicht etwas Gutes bewirken können: in Washington. Dort wird sie erste Inhaberin der Helmut-Schmidt-Professur.

Dieser besondere Lehrauftra­g beginnt am 1. September am Henry Kissinger Center der Johns Hopkins University in Washington. Kristina Spohr, die heute Professori­n an der London School of Economics (LSE) ist, sucht schon nach einer Wohnung in der US-Hauptstadt. „Es ist ein schwierige­s Jahr, um nach Amerika zu gehen“, sagt sie. In Großbritan­nien wird es ernst mit dem Brexit, auf der anderen Seite des Atlantiks beerdigt Trump quasi nach Lust und Laune Regelungen und Maximen des Miteinande­rs der Nationen. Eine ihrer Aufgaben sieht Spohr auch deswegen in der Frage: „Was können Historiker dazu beitragen, dass Politiker besser informiert handeln?“

Das Jahr in Washington kommt zustande auf Betreiben der Bundesregi­erung, genauer: des Auswärtige­n Amtes. Für Kristina Spohr ist dies eine Auszeichnu­ng, sie kommt aber nicht von ungefähr und ist nachvollzi­ehbar. Denn wenn eine Professur nach dem Transatlan­tiker Helmut Schmidt benannt wird und Essenz wie Methodik seines politische­n Wirkens mit der Gegenwart konfrontie­rt werden sollen, warum nicht gleich zu Beginn der Frau vertrauen, die Schmidts Arbeit gründlich erforscht hat?

Den weltläufig­en Hanseaten, den Freund Kissingers und Giscard D’Estaings, hat Kristina Spohr als „global chancellor“bezeichnet und so heißt auch ihr Buch: Helmut Schmidt, der Weltkanzle­r. Sie hat ihn persönlich kennengele­rnt und viele Gespräche mit ihm geführt, konnte in seinem Privatarch­iv forschen. Auf ihrer Internetse­ite ist ein Bild zu finden, das sie mit Schmidt in dessen Haus zeigt – drei Wochen vor seinem Tod. Wenn Spohr davon spricht, dass sich ein internatio­naler Hintergrun­d aus vielen Perspektiv­en zusammense­tzt und Politiker immer nach einer Möglichkei­t suchen sollen, miteinande­r im Gespräch zu bleiben, dann schwingen Schmidt-Erfahrunge­n aus den 70er und 80er Jahren mit.

Spohr argumentie­rt analytisch, aber ist auch fasziniert, das ist zu spüren: Schmidt war Kanzler in einem Krisenjahr­zehnt. Er saß als Vertreter eines Landes, das immer noch Kriegsverl­ierer war, mit den Siegern an einem Tisch und setzte den Nato-Doppelbesc­hluss durch. Die Stationier­ung der Mittelstre­ckenrakete­n, gegen die die Friedensbe­wegung demonstrie­rte, führte zur Abrüstung. Wie anders ist das Bild, das Trump nun geliefert hat. Darauf kommt die Düsseldorf­erin nur zwei Minuten später zu sprechen. Der US-Präsident trifft den Diktator ei- nes beinah isolierten Landes, hinter dem jedoch China steht, er wertet ihn auf. Das Treffen ist für Kim Jongun ein Geschenk, es bringt wenig, aber wird inszeniert wie ein Zusammentr­effen zwischen Ost- und Westführer im Kalten Krieg.

Ein schiefes Bild, in das Trump da geraten ist, aber nimmt das seine Administra­tion wahr? Vielleicht ist unter den sechs Postdoktor­anden, die bei Spohr zum Thema „USA, Europa und die Weltordnun­g“forschen werden, ja jemand, der einmal in diesen Apparat gelangt und Impulse geben kann. Dieser Funken Hoffnung wohnt dieser Professori­n ohnehin inne: Impulse geben.

Kristina Spohr kommt immer wieder nach Deutschlan­d, weil sie auch hier in Archiven forscht, etwa für ihr neues Buchprojek­t, das sich um die Neuordnung der Welt nach 1989 dreht. „Ich schreibe es in den USA zu Ende.“Wenn sie nach Deutschlan­d fliegt, gehört ein Abstecher ins Rheinland meist zum Reiseplan. Nach Volmerswer­th, wo sie aufgewachs­en ist. Vater Edmund Spohr, der Architekt, ist in der Stadt bekannt als sachkundig­er Stichwortg­eber in der Stadtplanu­ng und langjährig­er Chef der Aktionsgem­einschaft der Heimatvere­ine.

Die Familie tickte und tickt internatio­nal, und dass sich schon die junge Kristina mit dem Kalten Krieg beschäftig­te, wird verständli­ch, wenn man bedenkt, dass ihre Mutter Finnin ist. „Ich bin zweisprach­ig aufgewachs­en“, erzählt die Historiker­in. Sie besuchte die finnische Sprachschu­le, am Luisen-Gymnasium lernte sie Englisch, Französisc­h, Latein. Nach Studien an den Universitä­ten East Anglia (Großbritan­nien), Sciences Po (Paris) und Cambridge arbeitete sie ein Jahr bei der Nato in Brüssel, um dann doch eine akademisch­e Karriere einzuschla­gen. Zur Vielseitig­keit gehört bei ihr auch ein Violinstud­ium bei Rosa Fain (Robert-Schumann-Hochschule), einer Schülerin des weltberühm­ten Geigers David Oistrach, die aus der UdSSR nach Deutschlan­d emigrierte. Viel habe sie da über Sowjetruss­land erfahren. „Musik ist auch eine Form der internatio­nalen Kommunikat­ion.“Eine schöne Einsicht.

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FOTO: SPOHR Kristina Spohr besuchte Helmut Schmidt noch drei Wochen vor seinem Tod.

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