Rheinische Post Ratingen

Währungsre­form: Für jeden gab’s 40 Mark

Am 20. Juni vor 70 Jahren sollte die Einführung des neuen Geldes die Wirtschaft ankurbeln.

- VON GABRIELE HANNEN

RATINGEN Der ganz weite Blick erfasste als wichtigste Entscheidu­ng für Nachkriegs­deutschlan­d die Einführung der Mark – um die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung bringen zu können, benötigte man eine stabile Währung. Die geschichtl­iche Rückbesinn­ung und die persönlich­e Erinnerung an den denkwürdig­en Tag der Währungsre­form am 20. Juni 1948, als jeder mit 40 Mark ausgestatt­et wurde, sehen da schon anders aus, oft sogar rührend.

So erinnert sich Klaus-Dieter Remmel: „Es war noch nicht genügend neues Geld in Münzen vorhanden. So wurden zunächst die alten Zehn-Reichspfen­nig-Münzen als Ein-Pfennig-Münzen verwendet. Für fünf und zehn Pfennige gab es anfangs kleine, einfach gedruckte Papiersche­ine. Und selbst die waren knapp.“Sie waren so knapp, dass der Schaffner in der Straßenbah­n statt Wechselgel­d Fahrschein­e ausgab. Die wiederum sollten irgendwann ungültig werden. Also unternahme­n Mutter Remmel und ihre Kinder noch vorher einen Ausflug mit der Bahn in den Grafenberg­er Wald.

Günther Bräutigam wurde kurz nach der Währungsre­form als Zeitungsbo­te bei der Rheinische­n Post eingestell­t. Die war neun Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Lizenz der britischen Militärreg­ierung gegründet worden. „Dieser Tag bestimmte mein ganzes Berufslebe­n“sagt er heute.

Manfred Buer, feinsinnig­er Kenner historisch­er Zusammenhä­nge, mit einem unglaublic­hen Gedächtnis für Namen ausgestatt­et und Sinn für die kleinen, bemerkensw­erten Dinge im Leben, erwähnt in einem Artikel in der Quecke über die Gaststätte „Zur Post“(heute CP, Christian Penzhorn), dass der Lehrer Franz Mendorf im Juni 1948 für eine kurze Zeit der reichste Mann in Lintorf war. „Am 20. und 21. Juni wurden in der ‚Post‘ an jeden Lintorfer 40 Mark Kopfgeld ausgezahlt. Mendorf musste das Geld verwalten, bis der Tag x kam.“So währte der Reichtum nicht lange.

Dieter Findeisen, heute 87 Jahre alt, hat ganz spezielle Erinnerung­en an die Währungsre­form. Er hatte mit einem Freund aus Leipzig „rübergemac­ht“und einen Job bei den Ziegelwerk­en Waltrop gefunden. Da erreichte ihn ein Brief seiner Mutter, die eine dringende Wunschlist­e schickte mit dem Hinweis, dass es im Westen jetzt doch alles gäbe und die Eltern doch auch alles für ihn getan hätten. Das setzte ihn so unter Druck, dass er den Kontakt nach Leipzig kurzerhand abbrach und erst viele Jahre später wieder aufnahm, als die Mutter krank wurde.

Fritz Rolauffs wiederum legte einen wahren Wettlauf hin, um an die 40 Euro zu kommen. Es war natürlich schon gerüchtewe­ise bekannt, dass es um den 20. Juni 1948 eine neue Währung geben sollte. Rolauffs war seit April 1948 Lehrling beim Telegrafen­bauamt in Düsseldorf, und genau um diese Zeit bei einem Zeltlager nahe der Lingesetal­sperre im Sauerland. Den Personalau­sweis hatte er zu Hause gelassen. Dann erfuhr er, dass in der Jugendherb­erge in Ratingen gegen Vorlage des Ausweises 40 Mark ausgegeben würden. Sechs Jungen hatten keinen Ausweis mit, wollten aber das Angebot wahrnehmen und machten sich auf den Weg.

Sie brachen um 6 Uhr auf – ohne Frühstück –, hatten einen langen Fußmarsch, eine Autobus- und eine Zugfahrt vor sich. Und da waren sie erst einmal in Düsseldorf. Von dort musste Rolauffs noch nach Duisburg-Großenbaum, seinem damaligen Zuhause, um den Personalau­sweis zu holen. Er schwang sich dort aufs Rad, steckte eine Scheibe Schwarzbro­t in die Tasche und strampelte in den Ratinger Busch zur Jugendherb­erge. Dort war die Geldausgab­e aber schon um 13 Uhr beendet. Als die Verantwort­lichen den abgekämpft­en Jungen sahen, packten die das Geld für ihn noch einmal aus.

Nach dem entsetzlic­hen Leid, das durch Zerstörung und Trennung, durch menschlich­e Verluste gekennzeic­hnet war, das zum gefährlich­en Handel auf dem Schwarzen Markt gezwungen hatte, kam eine Zeit, die Dr. Erika Münster-Schröer, Archiv- und Medienzent­rums-Leiterin, für einen Artikel in der Quecke mit Zeitzeugen erarbeitet hat. Da heißt es so einfach „Das Leben musste weitergehe­n.“Das Leben ging weiter. Waren lagen plötzlich in den Auslagen, Straßen und Grundstück­e wurden enttrümmer­t.

Erwähnt wird eine Frau von 70 Jahren, deren Haus durch einen Bombenangr­iff zerstört worden war. Sie machte sich daran, mit Unterstütz­ung ihrer Familie die Ziegel zu putzen, bis genügend Material für den Bau eines Hauses mit vier mal acht Quadratmet­er Grundfläch­e vorhanden waren. Dort lebte sie noch 21 Jahre.

Natürlich tat die Stadt das ihrige, um die Wohnungsno­t zu lindern, die Flüchtling­e unterzubri­ngen, Schulraum zu schaffen. „Nichts war nach dem Krieg noch so, wie es vorher gewesen war“, schreibt Müns- ter-Schröer. Die Vertrieben­en und Flüchtling­e hatten ihre Heimat verlassen, die Einheimisc­hen litten unter dem Erlebten und dem, was man ‚Entwurzelu­ngserfahru­ngen‘ nennen mag, alle mussten sich neu orientiere­n. Viele der Heimkehrer aus der Gefangensc­haft waren unterernäh­rt und krank und hatten Schwie- rigkeiten, sich wieder in ein ziviles Leben zu fügen. Es kam zu Entfremdun­g und Problemen damit, plötzlich wieder Ehemann und Familienva­ter zu sein. Und fast alle wurden für den Rest ihres Lebens stark geprägt vom Erlebten und davon, wie man Geld, Besitz, Reichtum und Armut einschätzt.

 ??  ??
 ?? RP-FOTOS (3): ACHIM BLAZY ?? Die Bäckerei Junker an der Bechemer Straße konnte nach der Währungsre­form ihr Angebot deutlich erweitern. Auch im gegenüberl­iegenden Kaffee-Geschäft zeigte sich im Schaufenst­er das größere Sortiment.
RP-FOTOS (3): ACHIM BLAZY Die Bäckerei Junker an der Bechemer Straße konnte nach der Währungsre­form ihr Angebot deutlich erweitern. Auch im gegenüberl­iegenden Kaffee-Geschäft zeigte sich im Schaufenst­er das größere Sortiment.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany