„Eine Zerschlagung des Unternehmens stellt keine Option dar“
Ulrich Lehner Aufsichtsrats-Chef über die strategische Ausrichtung von Thyssenkrupp waren Grundlage meiner Arbeit undVoraussetzung für mein Versprechen an Berthold Beitz, das Unternehmen im Interesse von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden erfolgreich weiterzuentwickeln“, schreibt Lehner. Das sei heute nicht mehr gegeben. „Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion bei unseren Aktionären über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen.“Und weiter: „Meine Entscheidung möge dazu beitragen, das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt – weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes.“
Das zeigt die tiefe Enttäuschung über das Gebaren von Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung. Sie hatte unlängst zwar für die Pläne von Hiesinger und Lehner gestimmt, Thyssenkrupp als Mischkonzern zu erhalten. Doch zeigte sie sich zunehmend offen gegenüber der Kritik des schwedischen Investor Cevian, der 18 Prozent am Konzern hält und eine Zerschlagung fordert. Ebenso arbeitet der US-Fonds Elliott auf eine Zerschlagung des Mischkonzerns hin.
Auch Interimschef Kerkhoff trägt diese Strategie mit. Er äußerte nun sein Bedauern über Lehners Entscheidung. „Mit seiner ruhigen und verlässlichen Führung des Aufsichtsrats hat er immer den Ausgleich zwischen Aktionärs- und Arbeitnehmerinteressen gefunden. Er hat mit seinem wertvollen unternehmerischen Rat den Vorstand – auch in schwierigen Zeiten – immer unterstützt und damit das Gemeinschaftsunternehmen mit Tata im Stahlbereich erst möglich gemacht.“
Arbeitnehmervertreter äußerten sich bestürzt. NRW-Bezirksleiter Knut Giesler sagte unserer Redaktion: „Der Lehner-Rücktritt ist schade, weil er für den Kurs stand, den wir unterstützen. Das muss jetzt der allerletzte Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligten disziplinieren. Es geht immerhin um 39.000 Beschäftigte in NRW.“Der Konzern komme nicht zur Ruhe, dabei sei Ruhe genau das, was er jetzt so dringend benötige, so Giesler.
Der langjährige Henkel-Chef Ulrich Lehner wurde 2008 Aufsichtsrat bei Thyssenkrupp und beerbte dort 2013 Gerhard Cromme an der Spitze des Kontrollgremiums, als der Konzern schon einmal in einer tiefen Krise war. Protegiert wurde er von Krupp-Patriarch Berthold Beitz. Wirtschaftsingenieur Lehner war zuvor als Wirtschaftsprüfer tätig, ehe er bei dem Persil-Hersteller anheuerte.
Der Aufsichtsrat werde über die Nachfolge Lehners einen kurzfristigen Beschluss fassen, hieß es. Beobachter gehen davon aus, dass der noch in dieser Woche erfolgen könne. In den Fokus rückt nun wieder die Chefin der Krupp-Stiftung, Ursula Gather. Ihr Wackelkurs hatte schon maßgeblich dazu beigetragen, dass Hiesinger zurücktrat. Die Mathematikerin gilt zwar als klug, aber auch als industriepolitiscjh unerfahren und machtversessen.
Mit den Aufsichtsrats-Stimmen von Cevian und der Stiftung sowie der Arbeitnehmer könnte sie am Ende als große Gewinnerin vom Platz gehen: als Aufsichtsratschefin. Noch am Freitag hatte sie versucht, die Bedenken der Beschäftigten zu zerstreuen, und sich zum Auftrag der Stiftung bekannt. Laut der Satzung von 1967 ist die Stiftung verpflichtet, die Einheit des Unter- nehmens auch in fernerer Zukunft zu wahren. Ob ihr spätes Bekenntnis reicht, um die Beschäftigten auf ihre Seite zu ziehen, werden die kommenden Tage zeigen.
Noch am Montagmorgen hatte das „Handelsblatt“unter Berufung auf Konzernkreise berichtet, Gather habe sich vor zwei Jahren mit einem Vertreter des finnischen Thyssen-Konkurrenten Kone getroffen. Kone wird ein Interesse an der lukrativen Aufzugsparte der Es- sener nachgesagt. Das Treffen gilt als brisant, weil Gather als Stiftungs-Chefin den größten Thyssenkrupp-Einzelaktionär repräsentiert. Die Stiftung kann zwar über die ausgeschütteten Mittel entscheiden, redet aber nicht in Managementfragen mit. Dennoch soll sich Gather vor zwei Jahren mit Kone-Hauptaktionär Antti Herlin getroffen haben.
In einer Erklärung räumte die Stiftung ein, dass es Kontakt mit Kone gab: „Bei den vom Mehrheitsaktionär von Kone erbetenen Kontakt hat die Stiftung stets auf die Zuständigkeit des Unternehmens zu Fragen der Aufzugsparte verwiesen.“Über die Gespräche sei der Thyssenkrupp-Vorstand stets informiert gewesen.„Allein dem Unternehmen obliegen Entscheidungen zu Anfragen von Wettbewerbern.“
Die Aufzugsparte gilt als Perle des Konzerns. Sowohl Heinrich Hiesinger als auch Kerkhoff haben sich stets gegen einen von manchen Investoren ins Spiel gebrachten Verkauf oder Börsengang ausgesprochen. Auch wurden Kone immer wieder Avancen in Richtung Thyssenkrupp nachgesagt. Analysten halten eine Verbindung für sinnvoll.