Furioses Debüt: Julia von Lucadou und die „Hochhausspringerin“
Berufsziel Hochhausspringerin? Von tausend Meter hohen Wolkenkratzern im „Flysuit“stürzen, um dann Mikrosekunden vor dem Aufplatschen, wieder nach oben katapultiert zu werden? Was nach Bungee-Jumping in Dreierpotenz klingt, ist ein Trendsport in Julia von Lucadous Debüt „Die Hochhausspringerin“. Die 1982 in Heidelberg geborene Filmwissenschaftlerin stellte ihn im Heine-Haus vor. Im Gespräch mit RP-Redakteur Philipp Holstein erläuterte sie, wie sehr die Ungeheuerlichkeiten der in naher Zukunft spielenden Handlung bereits in unserem Leben Platz gefunden haben.
Zwei Frauen sind die Protagonisten. Da ist Riva, die Hochhausspringerin, mit ihrem perfekten Körper ein Star für Millionen Fans. Als sie schlagartig nicht mehr funktionieren will, wird die Psychologin Hitomi auf sie angesetzt, um sie in die Spur zu bringen. Beide Frauen sind in Gefahr, alle ihre Privilegien von der Designerwohnung bis zum Zugriffsrecht auf die einzig wahre digitale Realität zu verlieren.
Medizinisch gesehen ist eine Dystopie eine Fehllagerung, das Vorkommen von Organen an ungewöhnlichen Stellen. Ein derartiges Verrutschen wäre in Rivas Springerkörper gut vorstellbar. Literarisch gesehen ist eine Dystopie das pessimistische Szenario von einer Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt. Bei der Erwähnung des Begriffs im Heine-Haus fühlte sich das Publikum vermutlich an George Orwells „1984“oder Aldous Huxleys „Brave New World“erinnert, während auf dem Podium der Vergleich mit Dave Eggers weitaus aktuellerer Schreckensvision „The Circle“gezogen wurde.
Aber dann, mitten in Lucadous gelesenem Text ein ganz anderes Signalwort: „Lenkungsausschußsitzung“. Das klingt doch ganz real nach dem Jargon eines unter dem Namen „Staatssicherheit“firmierenden, gigantischen Überwachungsbetriebs. Eines Horror-Muffs, der gottlob Vergangenheit ist.
Noch kann Julia von Lucadou von ihrem Schreiben nicht leben. Derzeit verdient sie sich ihr Brot neben den Lese-Auftritten als Simulationspatientin. Doch die sehr positiven Feuilleton-Reaktionen auf die „Hochhausspringerin“deuten eine utopisch erfolgreiche Zukunft an.