Ruhmlose Achter
DÜSSELDORF Für viele Menschen war es die erste Begegnung mit einer Betäubung, mit Skalpell und Zange. Manchmal ging der Eingriff schnell über die Bühne, ruck und zuck, schon war er draußen, manchmal musste in der Tiefe des Raums gebohrt, gebuddelt, gefräst und gegraben werden. Hauptsache, dieser Kawenzmann von einem Zahn war endlich draußen.
Der Weisheitszahn des Menschen macht seinem Namen keine Ehre, fast immer stört er, zuweilen akut, meistens auf Dauer. Dann muss er entfernt werden, aber nicht kategorisch. Manche Menschen haben genug Platz im Kiefer, um 32 Zähne zu beherbergen. „Unsere Vorfahren hatten noch mehr Zähne im Mund, einige sogar über 40“, weiß Wolfgang Schmüdderich. Der erfahrene Kieferchirurg mit großer Praxis in Meerbusch hat sich auch mit der Geschichte des menschlichen Gebisses beschäftigt, und in ihr gab es viel Bedarf für kräftige Backenzähne: „Unsere
Vorfahren hatten ganz andere Essgewohnheiten, die haben beispielsweise Roggenkörner mit den Seitenzähnen zermahlen. Wir dagegen ernähren uns proteinreich, wir sind Fleischesser geworden und haben ein Allesfresser-Gebiss, und so sind unsere Kiefer kleiner geworden.“Dummerweise hat die Evolution die Zahnzahl nicht reduziert. Deshalb haben die meisten Menschen vier Weisheitszähne.
Mit Deutschlands Achtern hat Schmüdderich viel Erfahrung. Dabei ist bis heute nicht ganz geklärt, warum sie Weisheitszähne heißen. „Sie brechen meist erst im Erwachsenenalter durch, also zu einer Zeit, da den Menschen die ersten Spuren von Weisheit nachgesagt werden können oder sollten.“Im Japanischen wird es lyrisch: Dort heißen sie „Zähne, die die Eltern nie sehen“.
Probleme machen sie, wenn sie im Kiefer nicht genug Platz haben, um durchbrechen zu können. Manchmal bleiben sie auf halber Strecke hängen, kommen nicht ganz durch, ein großer Teil bleibt unter Schleimhaut. Dann bilden sich unerreichbare Schmutznischen, in denen sich Bakterien und Nahrungsreste einnisten und Entzündungen bilden können. Oder es entstehen Zysten oder gar Abszesse.“Vor allem ambulant durchgeführte operative Eingriff in Deutschland. Schmüdderich: „Trotzdem gelingt er mitunter nicht unbedingt so gut wie bei jemandem, der das täglich macht. Zu mir kommen häufig Patienten, die berichten, dass ihr Zahnarzt sich mit einem Weisheitszahn 90 Minuten lang herumgequält hat. Mir tun dann immer beide leid.“
Wann ist der richtige Zeitpunkt, dass die Weisheitszähne entfernt werden sollten? „Am besten noch im Jugendlichenalter, also zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr, wenn eine Wurzel zur Hälfte ausgebildet wird. Dann ist die Zahnkrone schon relativ weit oben in Richtung Mundhöhle, kann also ohne Komplikationen erreicht werden, ohne dass die Wurzel aus Platzmangel schon um andere sensible Strukturen herumgewachsen ist. Wenn ich diesen Eingriff bei einem 35-jährigen Patienten durchführen muss, dann ist die Operation aufgrund der Zahn- und
„Unsere Ahnen hatten ein viel größeres Gebiss als wir“Wolfgang Schmüdderich Kieferchirurg
Bei den Japanern heißen sie „Zähne, die die Eltern nie sehen“
Wurzelgröße wesentlich umfangreicher.“Viele von solchen älteren Patienten haben sich übrigens schon über Jahre unnötig mit Entzündungen herumgeplagt, weil sie den Eingriff scheuten.
Dem Patienten ist es überlassen, wie er die Entfernung vornehmen lassen will: in vier Sitzungen je einen Zahn, in zwei Sitzungen je zwei Zähne einer Seite – oder sogar alle vier Zähne in einem großen Eingriff. Das überlässt Kieferchirurg Schmüdderich nach ausführlicher Beratung jedem Patienten selbst. „Die meisten Weisheitszähne kann man in einer örtlichen Betäubung entfernen, es geht auch mit einer Vollnarkose, aber es gibt nur wenige Fälle, dass es zwingend eine Vollnarkose sein muss.“Gewiss besteht die Möglichkeit einer Sedierung etwa durch Propofol, „aber da bin ich vorsichtig, weil dabei der Schluckreflex ausgeschaltet ist. Und wenn die Mundhöhe voller Blut ist, kann das gefährlich werden. Da ist mir eine Narkose mit einer professionellen anästhesistischen Intubation lieber, so dass sichergestellt ist, dass die Atemwege geöffnet bleiben.“
Schmüdderich weiß nicht mehr, wie viele Weisheitszähne er in seinem Leben schon entfernt hat. „Bestimmt ist das eine Zahl im fünfstelligen Bereich.“Trotzdem erfordert jeder Kandidat wenn schon nicht Weisheit, so doch viel Erfahrung.