Rheinische Post Ratingen

Gefangen im „Problemzim­mer“

Wachleute und Betreuer eines Flüchtling­sheims sollen im siegerländ­ischen Burbach Asylbewerb­er eingesperr­t, verprügelt und erniedrigt haben. Vier Jahre ist das her. Nun startete in Siegen der Mammutproz­ess mit 30 Angeklagte­n.

- VON CLAUDIA HAUSER

SIEGEN Es geht alles ein bisschen durcheinan­der am Morgen beim Einlass in einen Saal der Siegerland­halle. „Sind Sie Zuschauer?“, fragt ein Justizbeam­ter einen Mann in Daunenjack­e. „Nein“, antwortet er. „Angeklagte­r.“Es dauert einige Zeit, bis alle Platz genommen haben im provisoris­chen Gerichtssa­al, in dem mindestens bis Frühjahr einer der größten Prozesse der Nachkriegs­geschichte verhandelt wird. Im Landgerich­t Siegen gibt es keinen Saal, der Platz für so viele Beteiligte bietet.

30 Angeklagte im Alter von 26 bis 65 Jahren müssen sich wegen Freiheitsb­eraubung, Nötigung, Diebstahl und Körperverl­etzung verantwort­en. Sie alle haben vor vier Jahren in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Burbach gearbeitet — in unterschie­dlichen Positionen. Angeklagt sind die Leiter, Mitarbeite­r der Sozialbetr­euung und des Wachdienst­es. Unter ihnen sind drei Frauen. Auch zwei Mitarbeite­r der Arnsberger Bezirksreg­ierung müssen sich verantwort­en. Sie sollen gewusst haben, was in der Notaufnahm­eeinrichtu­ng in der Siegerland­kaserne passierte, aber geschwiege­n haben. Nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft wurden Bewohner der Unterkunft in mehr als 50 Fällen drangsalie­rt, geschlagen und gegen ihren Willen eingeschlo­ssen.

Dass es ein Zimmer gibt, in das man eingesperr­t wird, wenn man gegen die Hausordnun­g verstößt, erfuhren die Flüchtling­e schon beim Einzug. Die Wachleute sprachen vom „Problemzim­mer“oder „PZ“. Die Bewohner nannten es „Knastzimme­r“. Es gab mehrere dieser Zimmer. Immer wieder ging es wohl vor allem ums Rauchen in den Schlafräum­en, das verboten war. Die Willkür der Security wird besonders deutlich bei Fällen wie diesem: Ein Bewohner soll zu Boden gestoßen und ins Gesicht geschlagen worden sein, weil er vor dem Gebäude rauchte. Ein Wachmann bat ihn laut Anklage, aufzuhören. Als der Bewohner entgegnete: „Warum? Ich bin draußen“, soll er auf ihn losgegange­n sein.

Die Wachleute arbeiteten in verschiede­nen Schichten — offenbar wussten und duldeten alle die Bestrafung­smethoden über neun Monate. An einer Pinnwand im Büro waren alle Bewohner-Namen aufgeführt, die schon einmal in einem Problemzim­mer waren — „aus erzieheris­chen Gründen“, wie es hieß. Auch ein Ex-Polizist ist wegen Körperverl­etzung und Freiheitsb­eraubung angeklagt. Er hatte damals einige Dienste in der Sicherheit­sfirma seiner Frau übernommen.

Es ist vor allem ein Foto, das für den Skandal steht und damals veröffentl­icht wurde: Ein Wachmann drückt seinen Stiefel in den Nacken eines Mannes, der am Boden liegt. Er hat die Hände auf dem Rücken gefesselt. Der Wachmann reckt einen Daumen nach oben, genau wie sein Kollege, der neben dem Gefesselte­n kniet. Die Bilder gelangten damals an Journalist­en und brachten die Ermittlung­en in Gang.

Im April 2014 sollen zwei Wachmänner einen 18-Jährigen eingesperr­t haben, weil dieser betrunken nach Hause gekommen war. Nach Überzeugun­g der Anklage haben sie den Algerier geschlagen. Das Opfer musste sich übergeben — auf den Boden und eine Matratze. „Ein Foto zeigt ihn, wie er vor der Matratze sitzt“, verliest der Staatsanwa­lt. „Sie sagten ihm, er solle sich in das Erbrochene legen und ruhig sein.“Fünf Tage lang durfte der 18-Jährige das Zimmer nur zum Essen verlassen und wenn er zur Toilette musste. Dann musste er mit Klopfzeich­en auf sich aufmerksam machen. Als er nach fünf Tagen einwilligt­e, für die verunreini­gte Matratze zu bezahlen, ließen sie ihn frei. Zwei Tage nach seiner Freilassun­g aus dem „Problemzim­mer“hat er die Asylunterk­unft fluchtarti­g verlassen, sagt der Staatsanwa­lt. Im Prozess wird er als Zeuge aussagen.

Als Motiv nennt die Staatsanwa­ltschaft den Versuch der Heim-Mitarbeite­r, die Dinge selbst zu regeln, um möglichst wenig Fälle von Streitigke­iten nach außen und an die Polizei dringen zu lassen. Die wurde nur ab und zu gerufen, wenn es etwa Schlägerei­en gab. Man habe dem Ansehen der Einrichtun­g nicht schaden wollen, heißt es.

Die Staatsanwa­ltschaft hat insgesamt 38 Verdächtig­e angeklagt, zwei Verfahren gegen insgesamt sechs Beschuldig­te wurden abgetrennt und sollen Anfang kommenden Jahres verhandelt werden. Kurz vor Beginn des Prozesses wurden in dieser Woche drei weitere Verfahren abgetrennt, unter anderem weil zwei Angeklagte erkrankt sind. Viele der mutmaßlich­en Opfer konnten nicht als Zeugen geladen werden, weil nicht klar ist, wo sie sich derzeit aufhalten. Neben dem 18-Jährigen wird nur ein weiterer ehemaliger Bewohner der Unterkunft als Zeuge gehört.

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FOTO: DPA In mehreren Reihen hintereina­nder sitzen die Angeklagte­n mit ihren Anwälten in der zum Gerichtssa­al umgebauten Siegerland­halle.
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FOTO: POLIZEI Eines dieser Bilder brachte die Ermittlung­en ins Rollen.

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