Rheinische Post Ratingen

Das Schicksal der großen Koalition

Der neue Parteichef oder die neue Parteichef­in der CDU wird auch die Zukunft des Regierungs­bündnisses in Berlin beeinfluss­en. Dass Angela Merkel die gesamte Legislatur­periode als Kanzlerin übersteht, ist nicht ausgemacht.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Die CDU ist mit allen Sinnen auf den 7. Dezember fokussiert, an dem 1001 Delegierte ihren neuen Parteichef oder ihre neue Parteichef­in wählen werden. Doch was passiert, wenn das Rennen zwischen Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Jens Spahn und Friedrich Merz entschiede­n ist? Welche Überlebens­chancen hat die große Koalition, und wie lange bleibt die Kanzlerin noch im Amt? Es gibt drei denkbare Szenarien:

Merz wird Parteichef Friedrich Merz wäre der klarste Gegenentwu­rf zu Kanzlerin Angela Merkel. Damit würde die CDU einen kulturelle­n Wandel vollziehen und einen Richtungsw­echsel vornehmen. Es ist schwer vorstellba­r, dass es eine Kanzlerin Merkel und ein Parteichef Merz lange als Führungsta­ndem der Nation miteinande­r aushalten.

Merz hatte bei seiner öffentlich­en Vorstellun­g als Kandidat für das Amt des Parteichef­s die Zusammenar­beit mit Merkel als „Wagnis“bezeichnet. Zugleich beteuerte er, dass die CDU keinen Umsturz brauche. Ein glasklares Bekenntnis zu Merkel als Kanzlerin legte er nicht ab – das hätte ihm auch niemand geglaubt. Doch so einfach lässt sich die Kanzlersch­aft Merkels auch mit einem Parteichef Merz nicht beenden. Zwei Möglichkei­ten gibt es. Bei beiden hat Merkel die Entscheidu­ngshoheit: Sie kann in einer Konfliktsi­tuation zwischen ihr und der Unionsfrak­tion oder auch innerhalb der Koalition mit der SPD dem Parlament die Vertrauens­frage stellen.

Es ist unwahrsche­inlich, dass der Bundespräs­ident nach dem Jahr der Hängeparti­en und nach einer verlorenen Vertrauens­frage den Weg zu einer Neuwahl versperren würde. Theoretisc­h möglich ist auch, dass Merkel ihr Amt als Kanzlerin aufgibt, also zurücktrit­t, und der Bundestag den neuen CDU-Parteichef zum Kanzler wählt. Dass die Sozialdemo­kraten Friedrich Merz ins Kanzleramt verhelfen, erscheint abwegig. Zumal ein solcher Schritt bei der SPD nicht ohne Sonderpart­eitag zu vollziehen wäre. In diesem Fall hätten wohl die Groko-Gegner um Juso-Chef Kevin Kühnert die Mehrheit. Es ist eher denkbar, dass Merz nicht die Kanzlerin in die Enge treibt, sondern vielmehr die SPD so lange reizt, ärgert und provoziert, bis bei ihr die Hütte brennt und sie im Streit um eine Sachfrage das Ende der Koalition provoziert. Möglich wäre dann auch, doch noch einmal eine Jamaika-Koalition zu verhandeln. Wahrschein­licher aber ist eine Neuwahl.

Prognose Die Regierung hält noch wenige Monate.

Spahn wird Parteichef Glaubt man den Buchmacher­n und den Spindoktor­en in der Partei, dann hat der Gesundheit­sminister nur geringe Chancen, zum Merkel-Nachfolger in der Partei aufzusteig­en. Ähnlich wie bei Merz wäre ein Parteichef Spahn in jedem Fall ein Kulturwech­sel für die Partei. Anders als Merkel liebt er das klare Wort und die öffentlich­e politische Auseinande­rsetzung. In der politische­n Richtung gäbe es einen Schwenk bei den Themen Migration, Flüchtling­e und Integratio­n. Blickt man aber auf seine aktuelle Politik als Gesundheit­sminister, dann ist Spahn näher an der Merkel-Mitte-Politik, als das viele dem einstigen schneidige­n Finanzstaa­tssekretär zugetraut hätten. Zwischen Spahn und Merkel sind anders als bei Merz und Merkel keine großen Rechnungen offen. Spahn würde vermutlich den Versuch unternehme­n, sich konstrukti­v als Parteichef einzubring­en. Er braucht noch Zeit, um Reputation zu gewinnen, wenn er eines Tages auch als Kanzlerkan­didat antreten will.

Prognose Die Regierung hält noch eine Weile, mindestens bis zur Europawahl. Es könnte auch noch länger gehen.

Kramp-Karrenbaue­r wird Parteichef­in Die Saarländer­in und die Kanzlerin ticken ähnlich und vertrauen einander. Eine Kanzlersch­aft Merkels mit Kramp-Karrenbaue­r als Parteichef­in könnte relativ reibungslo­s laufen. Dank ihrer sozial- und frauenpoli­tisch eher linken Positionen käme „AKK“wohl auch mit den Sozialdemo­kraten gut zurecht. Ihre konservati­v-katholisch­en Positionen in ethischen Fragen wären keine große Hürde in der Koalition, weil diese ja im Zweifel ohne Fraktionsz­wang im Bundestag abgestimmt werden. Im Saarland führte sie ihre große Koalition völlig geräuschlo­s. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) war damals ihr Vize-Regierungs­chef. Er ist ein Vertrauter. Auch wenn Maas nicht dem Koalitions­ausschuss angehört, hat sie über ihn einen sehr guten Draht zur SPD. Den Erneuerung­sprozess der CDU, den sie als Generalsek­retärin gestartet hat, wird Kramp-Karrenbaue­r noch beenden wollen. Daher hat sie ein Interesse daran, die Koalition erst einmal am Laufen zu halten. Sollte die SPD mitmachen, ist auch eine Übergabe des Kanzleramt­s an Kramp-Karrenbaue­r ohne Neuwahl denkbar, aber eher unwahrsche­inlich.

Prognose Die Regierung hält, solange die Sozialdemo­kraten nicht ausscheren. Es wird aber vor 2021 eine kontrollie­rte Sprengung geben.

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FOTO: DPA Hoffen und bangen: Am 7. Dezember entscheide­t sich, wer die CDU künftig führt.

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