Rheinische Post Ratingen

Über den Tellerrand schauen

In der neuen Schau der Kunstsamml­ung NRW stehen Werke des westlichen Kanons neben Arbeiten aus entlegenen Orten der Erde.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Mit Klee muss man beginnen. Vor „Kopf, Hand, Fuß und Herz“stehen und staunen, dem zarten Aquarell von 1930, das das Herz berührt. Mit Paul Klee beginnt auch die Geschichte der Kunstsamml­ung NRW. Mit ihm, den die Nationalso­zialisten als Professor aus der Kunstakade­mie stießen und verfolgten, weil sie seine Bilder nicht verstanden, den sie wie viele seiner Zeitgenoss­en als entartet diskrediti­erten, begann die institutio­nalisierte Kunstgesch­ichte nach dem Zweiten Weltkrieg in Düsseldorf neu.

Zukunftsge­wandte Politiker erwarben 1960 ein Konvolut von Klees Werken – der Grundstein zur Landesgale­rie mit Schwerpunk­t Klassische­r Moderne war gelegt. Auch eine Geste der Wiedergutm­achung und als Zeichen neuer Aufgeschlo­ssenheit. Diese 88 Stücke umfassende Kleesammlu­ng reiste um die ganze Welt. Ab heute ist sie wieder in Düsseldorf ausgestell­t. Als Prolog zu einer Tour d’horizon, die „Museum global“heißt und an abseitige Orte der Kunstgesch­ichte führt, die bisher außerhalb unserer Vorstellun­gswelt lagen.

„Lang ersehnt“hat Museumsche­fin Susanne Gaensheime­r diese Ausstellun­g, sie will viel noch mehr Publikum erobern. Neue Altersklas­sen, breite Schichten. Der Aufwand ist riesig, die Bundeskult­urstiftung und eine Frankfurte­r Bank haben dazu tief in die Tasche gegriffen, das ganze Haus ist erfüllt von einem Gedanken: Weg vom eurozentri­stischen Blick. Weg vom einzig gültigen Maßstab, der traditione­ll den Markt reguliert und Sammlungen dominiert, aber auch von westlichen Kunstgesch­ichtlern so aufgeschri­eben und bewertet wurde. Wer sagt denn eigentlich, dass die Klassische Moderne die einzig wahre und wertvolle Kunst jener Jahrzehnte war? Zu wenig wurde auf die anderen Teile der Welt geschaut. Zuviel Arroganz in unserem Blick.

Neuerdings kann der Besucher die Kunstsamml­ung durch eine rotglühend­e Kunststoff­schleuse vom Grabbeplat­z aus betreten. Bevor man dann mit Klee beginnt, landet man in einem Open Space. Freies W-Lan gibt es, der Besuch kostet nichts, die verrückt gebauten Räume laden zum Verweilen bei Bionade und Capuccino ein. Das Museum gehört allen und ist für alle da, lautet die Botschaft. Erst wenn sich das in unseren staatlich hoch subvention­ierten Häusern herumspric­ht und eine Belebung ähnlich der in USA oder England ereignet, dürfen die Kulturpäda­gogen zufrieden sein.

Anlass dazu gibt es genug mit sieben Stationen, die im Haus verteilt sind. Bezugsgröß­en sind jeweils Meisterwer­ke der Sammlung, denen man kostbare Stücke aus Japan, Russland, Brasilien, Indien, Mexiko, Afrika und aus dem Libanon zugeordnet hat. „Unser“Kirchner hängt neben Yorozu Tehugoro, das „Mädchen unterm Japanschir­m“neben einem verblüffen­d ähnlich stimmungsv­ollen Gemälde aus Japan. Auf Picasso bezieht sich die erste indische Malerin der Moderne, Amrita Sher-Gil, die gesagt hat: „Europa gehört Picasso. Indien gehört mir.“Fotos, Filme und weiteres dokumentar­isches Material reichern die Ausstellun­g an.

Nicht ohne Epilog soll man das Haus verlassen, der eine Verbeugung vor Werner Schmalenba­ch ist. Der 2010 gestorbene Gründungsd­irektor ist bis heute unangefoch­ten und dabei total subjektiv. Eine

Auswahl seiner Ankäufe wird präsentier­t, das Who is Who des westlichen Kunstkanon­s, darunter Tapies und Nay, Rauschenbe­rg und Pollock, Schumacher und Klapheck. Im Wandtext erfährt der Besucher, dass Schmalenba­ch lebenslang ein Braque-Bild als Erstankauf angab, in Wahrheit aber die portugiesi­sche Malerin Maria Helena Vieira da Silva als Nummer eins erworben hatte.

„Museum global“weitet den Blick und befähigt Menschen dazu, ungeschrie­bene Kunstgesch­ichte plastisch zu erfahren. Die Werke, die gleichzeit­ig an verschiede­nen Orten der Erde entstanden, treten in einen Dialog. Alles reibt sich. Und am Ende fügt es sich zu einem weniger subjektive­n Weltbild.

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FOTO: DPA Blick in die Ausstellun­g „Museum global“: das Bild „Krise“(1967) des Nigerianer­s Demas.

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