Rheinische Post Ratingen

„Juden haben wieder mehr Angst“

Obwohl der Antisemiti­smus zunimmt, lobt der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde die Offenheit der Düsseldorf­er Stadtgesel­lschaft.

- JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Horowitz, ein Spaziergan­g mit der Kippa durch das weltoffene Düsseldorf, ist das inzwischen ein Problem?

HOROWITZ Wenn man den falschen Leuten begegnet, kann es eins werden. Seit etwa 2014 spüren wir, dass sich für Juden etwas verändert hat. Es gibt mehr offen ausgelebte­n Antisemiti­smus. Tendenz steigend.

Auch in Düsseldorf?

HOROWITZ Ja. Vor allem Jungen und Mädchen, die auf öffentlich­e Schulen gehen, berichten immer wieder über Beschimpfu­ngen und Ausgrenzun­g. Und in allen Generation­en hören wir immer öfter die bange Frage, wann es Zeit wird, dieses Land zu verlassen. Denken Sie an den jüngsten Vorfall in Ratingen-Lintorf, wo Schaufenst­er mit dem Wort „Jude“und Hakenkreuz­en beschmiert wurden.

Ein Schock?

HOROWITZ Schon. Allerdings hat dieser Vorfall auch gezeigt, dass das Rheinland in der Breite seiner Bevölkerun­g doch etwas anders tickt als eine Reihe anderer Regionen. Nach dem Vorfall gingen 1500 Menschen für ein gutes Miteinande­r auf die Straße. Das ist ein Aufschrei der Anständige­n, ein Signal, das unserer Gemeinde gut tut. Und noch ein Beispiel will ich nennen: Eine Frau ist mit ihrem Sohn aus dem nördlichen Ruhrgebiet nach Düsseldorf gezogen, weil sie sich hier weniger angefeinde­t fühlt. Ihr Mann ist aus berufliche­n Gründen da geblieben. Dass nun eine Familie getrennt lebt, ist aber in jedem Fall ein Trauerspie­l, das wir uns so vor zehn Jahren noch nicht hätten vorstellen können.

Einer ihrer Söhne ist mit 14 Jahren für vier Jahre nach Israel gegangen. Seit kurzem ist er wieder in Düsseldorf. Spielte das Jüdisch-Sein dabei eine Rolle? HOROWITZ Die ehrliche Antwort muss lauten: Ja. Das Gefühl, das etwas nicht ganz passt, hat den Weggang seinerzeit befördert, obwohl das in diesem jungen Alter wirklich keine einfache Situation war.

Offenbar gehören seit kurzem auch Juden zur Alternativ­e für Deutschlan­d, ein entspreche­nder AfD-Arbeitskre­is wurde ins Leben gerufen. Sind Düsseldorf­er darunter? HOROWITZ Genau kann ich es nicht sagen, angeblich sollen einer oder zwei aus dieser Region dabei sein. Tatsächlic­h ist das Ganze ein Vorgang, der an Absurdität, Kurzsichti­gkeit und abgrundtie­fer Dummheit nicht zu überbieten ist. Gerade so, als ob Biber sich entschließ­en würden, in den Haushalt von Würgeschla­ngen einzuziehe­n, nur weil eine Würgeschla­nge gesagt haben soll, dass sie ab sofort keine Biber mehr frisst.

Die AfD ist eine Würgeschla­nge? HOROWITZ Mit ihr sitzt jedenfalls – genau 80 Jahre nach der Reichspogr­omnacht – eine rechte Partei in den Parlamente­n. Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass der Vorsitzend­e einer im Bundestag vertretene­n Partei vom Holocaust mit sechs Millionen ermordeten Juden als „Vogelschis­s“der Geschichte spricht.

Mit Blick auf die Zuwanderun­g aus arabischen Ländern wird viel von einem importiert­en Antisemiti­smus gesprochen.

HOROWITZ Tatsache ist, dass einige Flüchtling­e aus Ländern kommen, in denen Anti-Judaismus, Anti-Israelismu­s und Antisemiti­smus Teil der Erziehung oder gar der Staatsräso­n sind. Und das bleibt nicht ohne Wirkung.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

HOROWITZ Im Umfeld unseres Sportverei­ns Maccabi Düsseldorf kommt es immer wieder mal zu unschönen Zwischenfä­llen. Vor allem, wenn in den anderen Vereinen viele Sportler mit Wurzeln in bestimmten muslimisch­en Ländern spielen. Diese Einzelfäll­e ändern aber nichts daran, dass wir mit den Düsseldorf­er Muslimen ein wirklich gutes Verhältnis haben. Denken Sie an die gemeinsame Anzeige in der Rheinische­n Post, in der wir uns gemeinsam gegen jede Form von Ressentime­nts wenden – egal, ob sie sich gegen Juden, Muslime oder Christen richten. Das sagt auch etwas aus über die Offenheit der Düsseldorf­er Stadtgesel­lschaft.

Sie wurden am Sonntag als Vorsitzend­er der Jüdischen Gemeinde bestätigt, ihre Liste erhielt bei den Wahlen 14 von 15 Sitzen. Froh über diese Bestätigun­g?

HOROWITZ Ja. Das Beispiel Berlin zeigt, wie schwierig es ist, wenn eine Gemeinde stark gespalten ist.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Oded Horowitz (58) wurde in Tel Aviv geboren, 1993 kam er nach Düsseldorf. Der Augenarzt ist verheirate­t und hat drei Kinder.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Oded Horowitz (58) wurde in Tel Aviv geboren, 1993 kam er nach Düsseldorf. Der Augenarzt ist verheirate­t und hat drei Kinder.

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