„Wie ein Auftrag, den er mir gegeben hat“
Die Schauspielerin gastiert im Robert-Schumann-Saal. Eine musikalisch-literarische Hommage an Roger Willemsen.
Seine literarisch-musikalische Reise durch Europa konnte Roger Willemsen zwar noch mit der befreundeten Geigerin Franziska Hölscher zu einem Bühnenprogramm formen. Doch dann verhinderte seine Krankheit die Aufführung. Der wortgewaltige Publizist starb 2016 mit 60 Jahren. Aber er fand beizeiten eine seelenverwandte Gefährtin. Eine, von der er wusste, wie virtuos sie in seine Sprachräume eintauchen könnte: Maria Schrader. Mit „Landschaften“, einer Hommage an Roger Willemsen mit Werken von Johann Sebastian Bach, Belá Bartók, Richard Strauss und Maurice Ravel, gastiert die Schauspielerin und Regisseurin am kommenden Sonntag um 17 Uhr im Robert-Schumann-Saal. Begleitet wird sie von Franziska Hölscher (Violine) und Marianna Shirinyan (Klavier).
Frau Schrader, wie kam es dazu, dass Roger Willemsen Ihnen seine Erkundungen anvertraute? SCHRADER Wir waren viele Male zusammen auf der Bühne, er hat mich oft lesen gehört. Im Herbst 2015 bat er mich, diesen Abend für ihn zu übernehmen. Ich weiß nicht, ob er damals bereits wusste, wie schlimm es wirklich um ihn stand. Mich traf es jedenfalls wie ein Schock. Es ergab sich, dass die erste Lesung der „Landschaften“unmittelbar nach seiner Beerdigung stattfand, das war für uns alle nicht leicht.
Sind Sie schon oft mit dem Programm aufgetreten? SCHRADER Nein. Es wurde noch nicht oft aufgeführt. Katja Riemann und Walter Sittler haben es übernommen, als ich im Ausland war. Jetzt bin ich sehr glücklich, es wieder machen zu können. Es kommt mir ein bisschen vor wie ein Auftrag, den er mir gegeben hat.
Erzählen Sie uns etwas vom Konzept. Um welche Landschaften geht es dabei?
SCHRADER Es sind Impressionen aus verschiedenen Regionen Europas, unter anderem Bayern, Belgrad, Sofia, Berlin, allesamt Beobachtungen, die Roger festgehalten hat. Er war ein großer Reisender. Aber nicht jede Beschreibung ist auch exakt verortet. Es geht um Heimat, um Fremdsein, um Kontaktaufnahme. Im Ton sind die Texte ganz unterschiedlich: melancholisch, humorvoll, lustig, nah und distanziert zugleich.
Wie gut kannten Sie sich? SCHRADER Wir begegneten uns Mitte der 90er-Jahre zum ersten Mal, als ich Gast in seiner Sendung „Willemsens Woche“war. Seit Beginn der lit.cologne im Jahr 2000 waren er und ich jedes Jahr dabei, oft sogar mit mehreren Abenden. Wir gehörten zum Inventar und waren beide froh darüber. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Er kam in meine Premieren, ich trat bei seinem Festival in Mannheim auf, und wir schrieben uns immer mal wieder. Als ich nach Hamburg zog, gingen wir manchmal Mittagessen. Mit welchen Gefühlen denken Sie an ihn zurück?
SCHRADER Ich vermisse ihn. Als Freund, den ich gerne wiedersehen, mit ihm reden und Erlebnisse teilen würde. Aber auch als eine öffentliche Stimme in diesem Land. So geht es, denke ich, vielen. Roger Willemsen hat eine ziemliche Leere hinterlassen, jemanden wie ihn gibt es nicht nochmal, so klug, interdisziplinär, politisch, unterhaltsam, so scharf und gleichzeitig menschenfreundlich. In Kombination so unterschiedlicher Talente und Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten hatte er ein Alleinstellungsmerkmal.
Sie spielen Theater, drehen Filme und führen Regie. Und immer wieder streuen Sie auch Lesungen ein. Was ist Ihnen daran besonders wichtig? SCHRADER Ich glaube, ich bewundere das Schreiben am Meisten. Meine allererste Lesung auf der lit.cologne ist mir unvergesslich. Es war „Liebesleben“von Zeruya Shalev, das ich später verfilmt habe. Ich hatte davor nur Filme gemacht und betrat nach zwölf Jahren erstmals wieder eine Bühne. Im Theater saßen 800 Leute, ich konnte nicht fassen, dass so viele zu einer Lesung kommen. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Text, eine Stimme. Sonst nichts. Es ist die schlichteste, purste Form, eine Geschichte zu erzählen. Damals erlebte ich das erste Mal, was für eine Konzentration und Fantasie damit erzeugt werden kann, vorausgesetzt, der Text ist gut.
Sind Sie deshalb Stammgast bei der lit.cologne?
SCHRADER Ja, ich bin so ein Fan dieses Festivals, der Programme, der Macher und auch des Publikums, dass ich allem, was sie mir vorschlagen, blind zustimme. Es ist jedes Mal anders, aber jedes Mal inspirierend und schön.
Ihre Arbeitsbereiche sind vielfältig, wie treffen Sie Ihre Entscheidungen für das nächste Projekt?
SCHRADER Das hängt davon ab, wie die Dinge sich ergeben. Manche Projekte sind in einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen, andere dauern Jahre. Und manches ist unvorhersehbar. Niemand ahnte voraus, dass mein Film „Vor der Morgenröte“so erfolgreich werden würde und ich ihn heute noch auf Reisen begleite. Oder dass wir eine zweite Staffel der Serie „Deutschland 86“gedreht haben. Da müssen die Pläne dann neu geordnet werden.
Stecken Sie auch manchmal in einer Zwickmühle?
SCHRADER Es ist ein großes Glück, so unterschiedliche Dinge machen zu können. Als Schauspielerin lerne ich von der Regisseurin und umgekehrt. Das Gute ist, dass ich mich nicht entscheiden muss. Nur manchmal kann es passieren, dass man plötzlich das übernächste Jahr plant. Das finde ich dann absurd, da komme ich mir ja vor wie eine Operndiva.
REGINA GOLDLÜCKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.