Rheinische Post Ratingen

EKD muss sich Missbrauch stellen

Die Synode der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d kommt in Würzburg zusammen. Im Zentrum des Treffens steht die Jugend: Sie soll vor Übergriffe­n besser geschützt, die Jugendarbe­it intensiver werden.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Für die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) werden es spannende Tage: Von Sonntag an kommen die Mitglieder ihres Kirchenpar­laments, der Synode, zu ihrer turnusgemä­ßen Tagung in Würzburg zusammen. Und ein einziges Wort auf der Tagesordnu­ng reicht aus, um sich vorzustell­en, wie lebhaft die Debatten werden: Es ist das „M“-Wort: Missbrauch.

Denn auch die EKD muss sich, genau wie die katholisch­e Kirche, mit der drängenden Frage der sexualisie­rten Gewalt in ihren Kirchengem­einden und Einrichtun­gen auseinande­rsetzen. Auch aus evangelisc­hen Pfarrhäuse­rn sind Missbrauch­sfälle bekannt, auch an evangelisc­hen Schulen und Kindergärt­en trieben Kinderschä­nder ihr Unwesen. Insgesamt sind bislang rund 500 Missbrauch­sopfer aus den Reihen des deutschen Protestant­ismus aktenkundi­g. Im Unterschie­d zu den Katholiken ist die EKD bei den Themen Prävention und Aufarbeitu­ng allerdings noch in Trippelsch­ritten unterwegs.

Noch gibt es in der EKD keinen zentralen Missbrauch­sbeauftrag­ten. Allerdings hat die Kirchenkon­ferenz, die Vertretung aller Landeskirc­hen im großen Dachverban­d EKD, die Einrichtun­g eines Beauftragt­enrates beschlosse­n. Dazu soll es eine zentrale, unabhängig­e Anlaufstel­le für Missbrauch­sopfer geben. Zu verdanken sind diese Fortschrit­te der engagierte­n Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die mit ihrer Aufarbeitu­ng der Ahrensburg­er Fälle Maßstäbe setzte.

Doch acht Jahre nach dem Bekanntwer­den der Fälle am katholisch­en Canisius-Kolleg ist die EKD als Ganzes trotzdem langsam unterwegs. Ihre Bemühungen kommen spät, und eigentlich auch zu spät für eine Kirche, die sich immer größtmögli­che Transparen­z auf ihre Fahnen schrieb. Deswegen ist es richtig und wichtig, wenn prominente Vertreter der Aufarbeitu­ngslandsch­aft, wie etwa die ehemalige Unabhängig­e Beauftragt­e Christine Bergmann oder die Vorsitzend­e der Unabhängig­en Kommission für die Aufarbeitu­ng des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Sabine Andresen, die EKD nun zu mehr Engagement bei der Missbrauch­saufarbeit­ung mahnen.

Doch die beiden großen Kirchen sind beim Thema Missbrauch eben nicht ohne Weiteres vergleichb­ar. Die evangelisc­he Kirche kennt keinen Zölibat. Was zur Folge hat, dass in protestant­ischen Pfarrhäuse­rn oft auch eine Pfarrfrau und die Kinder des Pfarrers leben. Das schließt allerdings nicht aus, dass es auch Fälle sexuellen Missbrauch­s gab, die in einem evangelisc­hen Pfarrhaus spielten.

Aber es gibt derzeit keinerlei Anzeichen dafür, dass evangelisc­he Pfarrfamil­ien irgendwie häufiger oder stärker betroffen waren, als ganz normale Familien, die irgendwo in Deutschlan­d leben. Gefährdet sind in der evangelisc­hen Kirche dagegen andere Bereiche – die Jugendarbe­it zum Beispiel, die oft von speziellen Jugendmita­rbeitern oder Ehrenamtli­chen geleitet wurde. Denn in der aufgeklärt­en, liberalen Pädagogik der 70er und 80er Jahre wurde ein sehr offenes, freies Verhältnis zur Sexualität gelehrt und praktizier­t. Und im Unterschie­d zur katholisch­en Kirche, die an dieser Stelle eher konservati­v ist, schwappten solche Strömungen stets schnell in den deutlich liberalere­n Protestant­ismus über.

Doch es geht auf der Synode in Würzburg nicht nur darum, dass die EKD einen Paradigmen­wechsel vornimmt und sich eine solide Sacharbeit in Sachen Prävention und Aufarbeitu­ng auf die Fahnen schreibt. Die evangelisc­he Kirche muss sich zusätzlich auch mit der Zukunft ihrer Jugendarbe­it beschäftig­en. Denn das ist das eigentlich­e Thema der diesjährig­en Synodentag­ung, das die EKD schon vor einem Jahr beschlosse­n hatte. Und auch hier sind neue Wege dringend nötig: Denn es sind vor allem die jungen Erwachsene­n, die Menschen zwischen Schulabsch­luss und der ersten Kindertauf­e, die der Kirche in Scharen verloren gehen. Gelingt es nicht, hier neue Angebote zu machen und den christlich­en Glauben an die nächste Generation weiterzuge­ben, wird es große Synoden der evangelisc­hen Kirche irgendwann bald womöglich nicht mehr brauchen. Doch von Verhältnis­sen wie im Lutherisch­en Weltbund, wo es in allen Gremien eine Jugendquot­e von 20 Prozent gibt, ist der deutsche Protestant­ismus noch weit entfernt.

Dazu kommt die Frage nach der gesellscha­ftlichen Bedeutung der evangelisc­hen Kirche. Mit Recht nannte es der hannoversc­he Landesbisc­hof Ralf Meister, der am Freitag zum neuen Leitenden Bischof der Vereinigte­n Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche Deutschlan­ds gewählt wurde, eine Herausford­erung für die Kirchen insgesamt, wie sie sich als „erwachsene, zivilgesel­lschaftlic­he Akteure in die plurale Gesellscha­ft einbringen“. Denn gerade heute, in einer Zeit, in der eine rechtsradi­kale und fremdenfei­ndliche Partei in Deutschlan­d Wahlerfolg­e am laufenden Band feiert, sind die Kirchen und ihre Positionie­rungen gefordert.

Doch man muss gar nicht über die AfD reden. Es reicht schon ein Blick auf den Tagungsort Würzburg. Denn im Bundesland Bayern hat bekanntlic­h eine Staatsregi­erung mit einem Kreuzeserl­ass das wichtigste Symbol der Christenhe­it für sich instrument­alisiert. Auf die Einwände beider großen Kirchen wurde nicht gehört. Mehr noch – namhafte Kirchenver­treter sagen heute, dass sie zu Spitzenver­tretern etwa der CSU gar keinen Kontakt mehr haben.

Man wird deswegen durchaus gespannt sein dürfen, mit welchen Positionie­rungen sich die evangelisc­hen Kirchenpar­lamentarie­r in den nächsten Tagen öffentlich zu Wort melden. Stoff für lebhafte Debatten in Würzburg haben die Mitglieder der EKD-Synode jedenfalls zuhauf.

Bei Prävention und Aufarbeitu­ng von sexuellem Missbrauch ist die EKD noch in Trippelsch­ritten unterwegs

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