Rheinische Post Ratingen

Auswärtssp­iele der Theater

Gastspiele sind eine Chance für die Bühnen der Stadt, andernorts für ihre Arbeit zu begeistern. Logistisch ist das ein Kraftakt.

- VON DOROTHEE KRINGS

Vor ein paar Wochen ist der Sandmann in See gestochen. Mitarbeite­r des Schauspiel­hauses haben das Bühnenbild der gefeierten Inszenieru­ng von Robert Wilson samt aufwändige­r technische­r Ausrüstung, Kostümen, Zubehör in vier Container verpackt. Seit September sind die nun unterwegs – Richtung China. Mitte November ist die Inszenieru­ng beim großen „Internatio­nal Arts Festival“in der 15-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai zu Gast. Ein Werk der darstellen­den Kunst reist als kulturelle­r Botschafte­r um die Welt, das bedeutet vor allem eins: viel Arbeit hinter den Kulissen.

„An einem neuen Ort muss man das Publikum neu erobern“

Martin Schläpfer

Chef des Ballett am Rhein

Wenn die Kulturinst­itute der Stadt zu Gastspielr­eisen eingeladen werden, beginnt für die Mitarbeite­r ein logistisch­er Kraftakt. Gastdarste­ller müssen angefragt, die Abwesenhei­t fester Ensemblemi­tglieder in den Spielplan eingearbei­tet werden. Dazu wird oft ein technische­s Team entsandt, das klären muss, ob am Gastspielo­rt die Voraussetz­ungen stimmen. Meist haben Gastspiele deshalb eine Vorlaufzei­t von mindestens einem Jahr, oft auch deutlich länger.

Entscheide­t sich das Theater für die Reise, müssen Bühnenbild­er, Technik, Kostüm, Maskenzube­hör auf den Weg gebracht werden – und zum Auswärtssp­iel all die Menschen, die vor und hinter den Kulissen arbeiten. Für den „Sandmann“werden in ein paar Tagen insgesamt 70 Menschen – Darsteller und Mitarbeite­r des Schauspiel­hauses – nach China reisen.

„Natürlich haben wir genau überlegt, ob sich der Aufwand lohnt“, sagt Cornelia Walter, künstleris­che Projektlei­terin am Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Ein Theater sei immer stolz, wenn es seine besten Arbeiten an anderen Orten zeigen und so am Ruf des Hauses arbeiten könne. „Die Einladung aus China ist aber besonders reizvoll“, sagt Walter, „man traut uns zu, dass unsere Inszenieru­ng auch zu Menschen aus einem völlig anderen Kulturkrei­s sprechen kann. Das möchten wir jetzt auch einlösen.“

Zudem haben Gastspielr­eisen natürlich auch Wirkung nach innen, auf das Ensemble. „Man muss an einem neuen Ort das Publikum ganz neu erobern“, sagt Martin Schläpfer, Direktor des Ballett am Rhein. „Oft wird man dann von einer frischen Euphorie getragen, aber manchmal spürt man auch, was man an seinem heimischen Publikum hat, was da an Vertrauen und Verständni­s gewachsen ist.“

Genau wie die Oper hat auch das Ballett schon an entfernten Orten gastiert, in Israel etwa oder in Oman. „Obwohl Gastspiele minutiös geplant werden, passiert immer Unvorherse­hbares“, sagt Schläpfer, „die Kompanie muss blitzschne­ll reagieren, das macht die Zeit so intensiv, herausgelö­st aus dem Alltag lernt man einander anders kennen, das ist ungeheuer bereichern­d.“

Minutiös geplant werden die Gastspiele des Ballett am Rhein von Barbara Stute. Gelassen erzählt sie von Packlisten für entfernter­e Reisen, auf denen jede Schraube verzeichne­t sein muss, wenn die Fracht alle Grenzen sicher passieren soll. „Das sind dann schon mal Listen von 20 Seiten“, sagt Stute.Am spannendst­en wird ihre Arbeit am Tag der technische­n Einrichtun­g vor Ort. „Dann schwärmen alle wie die Ameisen aus, man arbeitet unter enormem Zeitdruck, aber gerade in der Hektik darf nichts falsch zusammenge­baut werden, da muss ich den Überblick bewahren.“

Auch Kleinigkei­ten können vor Ort ein Problem werden, etwa, wenn Umkleiderä­ume zu weit von der Bühne entfernt liegen oder wenn elektrisch­e Zugstangen für den schnellen Wandel von Bühnenbild­ern fehlen. „Man muss bereit

sein, Kompromiss­e einzugehen“, sagt Stute, die Schreineri­n und Innenarchi­tektin ist und dazu noch Bühnen- und Beleuchtun­gsmeisteri­n, „aber vor allem muss man alles möglichst präzise vorbereite­n.“

Für China ist das nicht so einfach. Während im deutschspr­achigen Raum viele Bühnen mit derselben Technik arbeiten, muss mit den chinesisch­en Partnern jeder Anschluss besprochen werden. Hinzu kommen Sprachschw­ierigkeite­n und die Zeitumstel­lung. Doch ist Robert Wilson im Wortsinn ein internatio­nal arbeitende­r Künstler, dessen Inszenieru­ngen oft von Partnern in mehreren Ländern gemeinsam produziert werden. Auch „Der Sandmann“wäre anders gar nicht zu stemmen gewesen. „Wilsons Arbeit stellt höchste technische Ansprüche, das macht ihren ästhetisch­en Reiz aus“, sagt Cornelia Walter, „aber dazu muss eben auch jeder Scheinwerf­er im richtigen Winkel hängen.“

Daran arbeitet das Techniktea­m des Schauspiel­hauses unter Hochdruck. Täglich gehen Mails hin und her, während der „Sandmann“ruhig Kurs nimmt. Am 15. November ist Premiere in Shanghai.

 ?? FOTO: LUCIA JANSCH ?? Szene aus „Der Sandmann“am Schauspiel­haus. In der kommenden Woche ist die Inszenieru­ng beim Arts Festival in Shanghai zu Gast.
FOTO: LUCIA JANSCH Szene aus „Der Sandmann“am Schauspiel­haus. In der kommenden Woche ist die Inszenieru­ng beim Arts Festival in Shanghai zu Gast.

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