Rheinische Post Ratingen

Handy-Klingeln vom Kirchturm

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(dans) Wenn es in den kommenden Tagen vom Kirchturm der Neanderkir­che an der Bolker Straße klingelt, wird der ein oder andere Passant zum Handy greifen wollen. Denn statt des üblichen Glockenkla­ngs ertönt bis nächste Woche Freitag der Klingelton eines Smartphone­s. Die Aktion ist Teil des Kunst- und Musikfesti­vals „die digitale“und will die Menschen zum Nachdenken anregen, wie stark der Alltag durch das Smartphone bestimmt wird.

Die Idee der Installati­on „Zeitzeiche­n“stammt von den beiden Schweizer Künstlerin­nen Klarissa Flückiger und Mahtola Wittmer und wurde zuvor bereits in einer Kirche in Luzern umgesetzt. Ihre Frage: Ist das Smartphone mittlerwei­le zu einer Art Ersatz-Religion mutiert? Influencer werden in den sozialen Medien wie Heilige verehrt; viele persönlich­e Gedanken und Gefühle werden mit dem Smartphone geteilt. „Wir wollen dem Handy den Raum geben, das es schon längst in unserem Alltag hat“, sagt Flückiger. Und dafür eignet sich kaum ein Ort besser als ein Kirchturm.

Denn früher waren es die Glockensch­läge der Kirchen, die den Menschen den Alltagsrhy­thmus vorgaben. Ob zum Arbeitsbeg­inn, beim wöchentlic­hen Markt oder zum Verschluss der Stadttore – jedes Ereignis wurde durch einen eigenen Glockensch­lag vom Kirchturm angekündig­t. Heute bestimmen Anrufe, Eilmeldung­en und WhatsApp-Nachrichte­n unseren Alltag.

Bei der evangelisc­hen Gemeinde der Neanderkir­che war man sofort von der Idee begeistert. Denn auch dort ist der digitale Wandel spürbar. „Meine Konfirmand­en beschweren sich regelmäßig über fehlendes W-Lan oder Handynetz“, erzählt Pfarrer Dirk Holthaus. Kirchliche Angebote wie Seelsorge gibt es mittlerwei­le sogar schon online. Ist das Smartphone da wirklich nur noch Medium oder doch mehr? Eine Frage, über sich bis zum 16. November gut nachdenken lässt, denn bis dahin ist die Neanderkir­che noch in der Hand der Klingeltön­e.

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