Rheinische Post Ratingen

Marx am Mannesmann­ufer

Eine neue Ausstellun­g im KIT versucht sich mit künstleris­chen Positionen an Kapitalism­uskritik.

- VON CLEMENS HENLE

Die neue Ausstellun­g im KIT (Kunst im Tunnel) trägt den schönen Titel „Words don‘t come easy“. Wer beim Lesen „. . . to me, this is the only way“weitersumm­t, ist allerdings auf dem Holzweg. Denn hier geht es nicht um den 80er-Jahre-Chartüberf­lieger von F.R. David, sondern vielmehr um eine ambitionie­rte und aktuelle Schau. Thema: Eine auf ökonomisch­em Wachstum basierende Weltordnun­g wirkt sich unwiderruf­lich auf die Umwelt, die Ressourcen und unsere Lebenswelt aus. Deshalb begibt sich die Ausstellun­g auf die Suche nach Möglichkei­ten, diese Weltordnun­g durch künstleris­che Arbeiten zu überdenken. Mit Erfolg.

So geht der Titel der Schau auch konsequent­erweise mit „money doesn‘t either“weiter. Weder Worte noch Geld kommen also von allein. Die eingeschla­gene Richtung wird beim Blick auf das Ausstellun­gsplakat noch deutlicher: Ein Flugzeug zieht ein Banner mit der Aufschrift „MARX I LOVE U, WILL U MARRY ME“durch den Himmel.

Kuratiert ist die Ausstellun­g von Youri David Appelo und Marian Stindt, zwei Stipendiat­en des plugin-Projektes von Schloss Ringenberg in Hamminkeln. Das aus EU-Fördergeld­ern finanziert­e und zwischen Holland und Deutschlan­d agierende Projekt fördert den Austausch und die Entwicklun­g von künstleris­chen Ideen, Positionen und kreativen kuratorisc­hen Ansätzen. Dabei fällt positiv auf, dass die zwei jungen Ausstellun­gsmacher nicht das sperrige Thema der Kapitalism­uskritik scheuten. Vielmehr zieht sich dieses Sujet durch die gesamte Ausstellun­g, ohne dabei in platte Phrasendre­scherei zu verfallen.

Neben der Liebeserkl­ärung an Marx – das Originalba­nner hängt von der Wand im KIT – hat sich der spanische Künstler Juan Pérez Agirregoik­oas auf sehr einfühlsam­e Weise mit dem Ausverkauf der Skaterkult­ur beschäftig­t. In einem Video, das in fast lieblichem Aquarellst­il als Trickfilm daherkommt, bemängelt er die Kommerzial­isierung der Skateboard­kultur. Diese dient hierbei als Beispiel für eine ursprüngli­ch nicht systemkonf­orme Subkultur, die fortschrei­tend kapitalisi­ert, aus dem Kontext gerissen und zum gut verkäuflic­hen Fetisch gemacht wurde.

Hanne Lippard veranschau­licht in einer Sound-Installati­on prekäre Arbeit anhand des englischen Zungenbrec­hers „She sells seashells by the seashore“. Der Zuhörer steht auf einer kreisrunde­n Sandbank umgeben von vier Lautsprech­ern. Der Zungenbrec­her wird dabei Teil einer Erzählung, die sich von kindlicher Strandroma­ntik immer mehr zur Handlung eines absurd anmutenden proletaris­chen Märchens entwickelt. Dabei gerät die Protagonis­tin in einen Strudel aus Ausbeutung und instabilen Arbeitsbed­ingungen, der am Ende in der Prostituti­on endet.

Einen Großteil des Ausstellun­gsraums nimmt die Installati­on „Unpredicta­ble Liars“von Isabella Fürnkäs ein, die eigens für „Words don‘t come easy“angefertig­t wurde. 16 in Lumpen verhüllte Schaufenst­erpuppen – Männer, Frauen und auch Kinder – stehen im Raum verteilt herum. Ihre Gesichter sind unter befremdlic­hen Kutten verborgen, einige von ihnen nuscheln etwas. Basierend auf der Geschichte der Fregatte Medusa, die 1968 von Hans Werner Henze zu einem Oratorium verarbeite­t wurde, erzählt Fürnkäs eine aufwühlend­e Geschichte. Der Betrachter muss dabei unweigerli­ch an die Flüchtling­stragödien denken, die sich täglich im Mittelmeer abspielen. Die Tragödie um Tod und Überleben wird so ins Verhältnis gesetzt zu zeitgenöss­ischen Erfahrunge­n sozialer Isolation und dem Kampf um Ressourcen.

Eine Eigenheit des Tunnelraum­s des KIT ist das keilförmig zulaufende Entrée. In vielen Ausstellun­gen wenig genutzt, ist es jetzt von bunten Stoffbahne­n verhängt. Sie sind Teil der fortlaufen­den Arbeit „Economy as Intimacy“von Eric Peter, der hier einen Denkraum geschaffen hat. Peter bedient sich dabei der Poesie als einer Art Spekulatio­nsmedium, um Ökonomie und Intimität in einen sinnlichen Austausch zu bringen. Mit Gedichten, Publikatio­nen, Lesungen und Installati­onen entwickelt sich die Arbeit in einem offenen Prozess, an dem die Besucher auch aktiv teilnehmen sollen, stetig weiter.

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FOTO: CLAGES Marx-Liebeserkl­ärung von Juan Pérez Agirregoik­oa. Eine der Arbeiten, die der spanische Künstler zur neuen Schau im KIT beigesteue­rt hat.

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