Mahnwache am EVK für Mohammad Elias
Ein Jahr nach dem Tod des Siebenjährigen hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Für die Familie des Kindes eine zusätzliche Belastung. Die Mutter glaubt: „Mein Sohn hätte gerettet werden können.“
Am zweiten Weihnachtstag jährt sich der Tod des kleinen Mohammad Elias zum ersten Mal. Doch für seine Familie ist die Wunde frisch wie am ersten Tag. Mutter Belgis kann nicht mehr arbeiten, seit ihr Kind nach einer Notoperation gestorben ist, die sie selbst für überflüssig hält. „Hätten die Ärzte auf mich gehört, ihm ein Antibiotikum gegeben, dann könnte er noch leben“, glaubt sie.
Medizinrechtlerin Xenia Weiß hat im Namen von Mohammads Mutter rechtliche Schritte gegen das EVK und gegen zwei Kinderärzte eingeleitet, die Mohammad in der zentralen Notfallpraxis behandelt hatten. Sie führten keinen Rachefeldzug, sagt die Anwältin. „Es geht uns darum, herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt anders hätte gehandelt werden müssen, um das Kind zu retten.“
Das will auch die Staatsanwaltschaft klären, die das tote Kind, das bereits beigesetzt worden war, im Januar exhumieren und obduzieren ließ. Demnach starb Mohammad an einer bakteriellen Lungenentzündung. Die Ergebnisse der komplexen feingeweblichen und toxikologischen Untersuchungen stehen noch aus. „Ich weiß, dass das für die Familie eine enorme Belastung bedeutet“, sagt Staatsanwalt Peters. „Aber wir brauchen größtmögliche Sicherheit.“Unabhängig von den zivilrechtlichen Schritten der Familie geht es nämlich auch um die Frage, ob ein strafbares Fehlverhalten zum Tode Mohammads geführt hat.
Gerade in diesen Tagen erlebt Belgis Naserie die Ereignisse vom Dezember vor einem Jahr immer wieder neu. Wie ihr Jüngster anfing zu kränkeln, wie sie ihn versorgte mit der Erfahrung einer Mutter, die einst in Afghanistan selbst eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hat, und wie sie dann zur Kinderärztin ging, weil Mohammad schwer atmete. Die Ärztin diagnostizierte einen Infekt, empfahl reichlich Flüssigkeit und Tee. Doch nach einer Woche bekam das Kind Fieber. Auch die Atmung war nicht besser geworden.
Die Kinderärztin war bereits im Weihnachtsurlaub, also ging Belgis Naserie mit ihrem Jungen in die Notfallpraxis. Sie sagt: „Ich bat um ein Antibiotikum, gerade weil die Feiertage bevorstanden und ich keinen Arzt erreichen können würde. Doch der Arzt meinte, ich soll abwarten.“Drei Tage später bekam sie ein Rezept für Iboprofen und Paracetamol. „Ich wollte eine Blutuntersuchung und das Röntgen der Lunge. Aber er schickte mich weg“, sagt Naserie. Einen Tag später ging sie deshalb erst gar nicht mehr in die Notfallpraxis, sondern ins Evangelische Krankenhaus. Mohammad ging an ihrer Hand, antwortete auf die Fragen der Krankenschwestern. „Er war kein sterbendes Kind, er war schwach, aber lebendig“, sagt die Mutter. Doch nach zwei Stunden im Warteraum verschlechterte sich Mohammads Zustand. Seine Haut verfärbte sich gelblich, er bekam Ausschlag. „Ich wusste, das muss mit der Leber zu tun haben“, sagt Belgis Naserie, deren Schwestern-Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wird. Auf ihr Drängen habe eine Krankenschwester die Blutsättigung getestet. „Die Werte waren so schlecht, dass sie glaubte, das Gerät sei kaputt.“Danach sei alles schnell gegangen: Mohammad wurde notoperiert. „Sie sagten uns, sein Magen habe sich gedreht“, sagt Naserie. Anwältin Weiß hält für möglich, dass bei der Not-OP auch etwas anderes eine Rolle spielte: Ein Jahr zuvor war im selben Krankenhaus ein Kind an einem nicht operierten Darmverschluss gestorben, auch da ermittelte die Staatsanwaltschaft. Belgis Naserie glaubt, die OP könne ihr Kind zusätzlich geschwächt haben. Tatsächlich war Mohammad danach notfallmäßig in die Uni-Klinik verlegt worden, wo er schließlich starb.
Am 22. Dezember, genau ein Jahr nach ihrem ersten Besuch in der Notfallpraxis, will Belgis Naserie mit ihrer Familie vor dem EVK eine Mahnwache abhalten. „Wir wollen an Mohammad Elias erinnern, der zu früh gestorben ist“, sagt sie. „Wir gehen davon aus, dass der Tod des Jungen auch die Ärzte schmerzt“, betont Rechtsanwältin Weiß. Es gehe nicht darum, die Mediziner anzugreifen. Die Anwältin will vor allem Klarheit. Mohammads Mutter vor allem eine Entschuldigung. „Ich brauche kein Geld,“, sagt sie, „ich will niemanden ins Gefängnis bringen. Ich will nur, dass mir jemand ehrlich sagt: ,Wir haben einen Fehler gemacht. Es tut uns leid.’“