Rheinische Post Ratingen

Raus ins Feld – auf Exkursion mit dem Prof

Ob Klimaforsc­hung in Spitzberge­n oder Fossilfund­e in Südspanien: Auf Expedition­en lernt man Dinge, die es nicht im Hörsaal gibt.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

BOCHUM Wer Geologie studiert, Geografie oder Archäologi­e, für den heißt es irgendwann: Raus ins Feld! Denn theoretisc­hes Wissen allein reicht in diesen wissenscha­ftlichen Diszipline­n nicht aus. „Geologie ist eine Geländewis­senschaft“, sagt Tom McCann, Geologe am Steinmann-Institut der Universitä­t Bonn. „Nach den ersten Semestern muss man rausgehen, und die Gesteine im Feld sehen. Und man kommt dann auch dazu, verschiede­ne Teilgebiet­e der Geologie zu vereinen: Mineralogi­e, regionale Geologie, Tektonik, Sedimentol­ogie und

„Nach den ersten Semestern muss man raus gehen und die Gesteine im Feld sehen“Tom McCann

Geologe an der Universitä­t Bonn

Paläontolo­gie.“Auf Exkursione­n üben Studierend­e außerdem in der Praxis das Handwerksz­eug ein, das sie später in ihrem Beruf benötigen, so der Professor, der sich selbst mit der Ablagerung von Sedimenten vor Millionen von Jahren beschäftig­t.

Und so geht es für die Geologen der Uni Bonn im Bachelor mindestens einmal im Bachelor-Studium auf mehrtägige Exkursion. Nach Deutschlan­d, aber auch nach Frankreich, Spanien oder sogar Brasilien und China. „Ich fahre seit gut einem Jahrzehnt mit den Bachelor-Studenten nach Südspanien, weil die Gesteine im dortigen Sorbas-Becken sehr gut zugänglich sind“, sagt McCann.

In diesem Tal an der Küste Andalusien­s nahe Almería lag vor sechs Millionen Jahren eine Lagune, in die ein kleiner Fluss mündete. Auf dem feuchten Küstenbode­n haben zahlreiche Wasservöge­l ihre Spuren hinterlass­en. „Vogelfußab­drücke hatte ich dort schon gefunden“, sagt Tom McCann. „Doch dann überreicht­e mir einer der Exkursions­teilnehmer einen Gesteinsbr­ocken, auf dem deutlich ein versteiner­ter Fußabdruck zu erkennen war, ganz ähnlich dem eines Hundes.“

Zurück in der Unterkunft googelte der Professor eifrig und kam zu dem Ergebnis: Fußabdrück­e von Säugern gab es bisher in dieser Region nicht. „Ich schlug meinen Studierend­en daraufhin vor, ein Paper zu veröffentl­ichen. Sie waren verblüfft: So etwas passiert in der Regel nicht im Bachelor-Studium.“Mit Feuereifer stürzten sich die Exkursions­teilnehmer zurück in Bonn auf das Verfassen des Papers – alle wollten lernen, wie man eine solche wissenscha­ftliche Veröffentl­ichung für eine Zeitschrif­t schreibt. Die Theorie der Gruppe um Professor Tom McCann: Die Spuren könnten von einem Schakal stammen, der vor sechs Millionen Jahren über das damals ausgetrock­nete Mittelmeer von Nordafrika über Gibraltar nach Europa gelangt ist. „Und tatsächlic­h wurde der Artikel in der Zeitschrif­t der Deutschen Gesellscha­ft für Geowissens­chaften gedruckt. Das ist für Bachelor-Studierend­e absolut außergewöh­nlich und ein toller Punkt für ihren Lebenslauf“, sagt der Geologe.

Dass Exkursione­n nicht nur für die Studierend­en eines bestimmten Faches interessan­t sind, zeigt sich an der Ruhr-Universitä­t in Bochum. Denn dort geht André Baumeister nicht nur mit den Geografie-Studenten ins Feld: Auch junge Menschen anderer Fächer dürfen den Geografen im Rahmen ihres Bachelorst­udiums begleiten. Außerdem betreibt der Wissenscha­ftler eine eigene Exkursions-Firma, über die ihn auch Privatpers­onen begleiten können. In diesem Jahr war er bereits in Kapstadt, Nordskandi­navien, Österreich und Spitzberge­n. „Als Geograf beschäftig­t man sich mit Prozessen, die auf der Erdoberflä­che stattfinde­n. Das können naturwisse­nschaftlic­he, räumliche aber auch gesellscha­ftliche Prozesse sein. Und die kann man sich natürlich nicht im Lehrbuch anschauen“, sagt Baumeister. „Draußen lernt man am besten – und es gibt immer gute Geschichte­n zu erzählen.“

Mit seinen Exkursione­n möchte der Geograf Fachfremde wie Studierend­e für Umwelt und Natur

sensibilis­ieren. „Wir wollen die Menschen für unser Fach begeistern – und ihnen außerdem Wissen vermitteln.“Und genau deshalb werden in Spitzberge­n beispielsw­eise Planktonte­ilchen unter dem Mikroskop untersucht, oder eine Drohne zur Erkundung der Gletscher eingesetzt. Mit einer Wärmebildk­amera wiederum werden Veränderun­gen in den Permafrost­böden analysiert.

„Die Geografie beschäftig­t sich aber längst nicht mehr mit Einzelprob­lemen“, stellt André Baumeister klar. „Ökologisch­e Prozesse in Spitzberge­n beispielsw­eise haben Bezug zum Klima der ganzen Welt. Ebenso wie die Müllproble­matik in Westafrika oder der Fischfang in Norwegen.“So lernen die Exkursions­teilnehmer die Welt auf eine Weise kennen, wie sie kein Instagram-Bild zeigt. „Wer einfach durch die Alpen wandert, dem bleiben viele Geschichte­n abseits der bekannten Wege verborgen. Aber wir füllen die Region mit Wissen über Natur, Klima und Gesellscha­ft – und so entwickeln die Menschen einen ganz anderen Bezug zu einer Region und setzten sich vielleicht mehr für sie ein“, sagt Baumeister.

Und wo kann das besser gelingen, als in einem Zelt in Spitzberge­n unter dem Sternenhim­mel?

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FOTO: A. BAUMEISTER Gemeinsam durch Spitzberge­n: Eine Gruppe Bochumer Studenten auf Exkursion mit Geograf André Baumeister

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