„Don Karlos“im Intrigen-Käfig
Das Thema Brüderlichkeit ist wieder aktuell, findet Regisseur Alexander Eisenach. Am Schauspielhaus inszeniert er Schillers Drama.
Bisher hat er vor allem Texte der Gegenwart auf die Bühne gebracht, am Schauspielhaus etwa Leif Randts Roman „Planet Magnon“. Doch jetzt sei es an der Zeit gewesen für einen Klassiker, sagt Alexander Eisenach, lächelt, zieht die transparente Brille ab, reibt sich etwas erschöpft durchs Gesicht. Für Schiller hat er sich entschieden, für das große Hof-Intrigen-Freiheitsdrama „Don Karlos“. Jonas Friedrich Leonhardi wird die Titelrolle spielen, André Kaczmarczyk den Idealisten Marquis von Posa. Dreieinhalb Stunden wird der Abend dauern.
„Ich wollte mich mit Schillers hoher Sprache beschäftigen, mit den idealistischen Vorstellungen von Freiheit und von Theater“, sagt Eisenach, „das Stück ist enorm vielschichtig, stellt komplexe Weltmodelle gegeneinander, da muss man schauen, wie man hinter den Ball kommt – der Vorlage also nicht nachläuft, sie nicht koloriert, sondern eigene Fantasien entwickelt.“
Bei Schiller sei das eine große Herausforderung, weil der erfahrene Theatermann klare Impulse gebe. Das verführe zum Ausmalen von Szenen. Zugleich habe sich Schiller im „Karlos“vom Versmaß, der Musikalität der eigenen Sprache und den eigenen philosophischen Ideen in höchste Sphären tragen lassen. „Das wirkt manchmal, als habe Schiller das gar nicht mehr wirklich unter Kontrolle gehabt“, sagt Eisenach. „Es gibt lauter Rasende in diesem Stück, Figuren verbrennen, fiebern, taumeln, die Sprache ist oft wie ein Rausch, das müssen Schauspieler erst einmal spielbar machen, das muss fleischlich werden, damit es nicht aufgesagt wirkt.“
Für Eisenach stehen die Begriffe Freiheit und Wahrheit im Zentrum des Stücks. Doch hält er es für einen Fehler, ein so komplexes Drama wie den „Karlos“auf wenige Kernthesen zu reduzieren. Schiller stelle das Pathos der Mitmenschlichkeit, der offenen Herzen, gegen den intriganten Staat, indem er den Heißsporn Don Karlos auf den höfischen Apparat des spanischen Königshauses treffen und aus der Tragödie die Idee der Brüderlichkeit erstehen lasse.
„Das ergibt Fragen, die wir uns auch heute noch stellen: Gibt es Ideale, die uns zusammenhalten, oder stehen wir nur noch in Kosten-Nutzen-Beziehungen zueinander?“, sagt Eisenach. Der Konflikt zwischen „der kalten Organisiertheit einer Gesellschaft“und „dem emotionalen Gehalt, der Menschen verbindet“, sei anscheinend sehr alt. Heute lebten die Menschen äußerlich viel freier als damals, seien aber – auch aus ökonomischen Gründen – in vielen inneren Zwängen gefangen. Darum sei die Sehnsucht nach Idealen, die Brüderlichkeit und Gemeinschaftssinn stiften, heute genauso zu spüren wie in Schillers Tagen.
Eisenach hat seine Inszenierung zeitlich kaum verortet. Es gibt einige historische Markierungen, etwa im Kostüm, doch das Bühnenbild ist abstrakt. Der Regisseur überlässt es dem Zuschauer, die Bezüge aus der Geschichte in die Gegenwart selbst herzustellen. Prägendes Element des Bühnenbildes ist ein Metallgerüst mit Plexiglasscheiben. Darin müssen Räume erspielt, Atmosphären geschaffen werden. Licht spielt für Eisenach dabei eine wichtige Rolle und Musik, die er sich eigens für diese Arbeit schreiben ließ.
Begeistert ist der junge Regisseur, der 1984 in Berlin geboren wurde, vom Talent der Schauspieler, mit denen er gearbeitet hat, und von der Ernsthaftigkeit, mit der sie mit ihm den Schiller-Text erforscht haben. „Schiller muss man sich wirklich aneignen, da müssen im Probenprozess Energien hin- und hergehen, das kann ein Regisseur nicht vorher planen“, sagt Eisenach. Ihm gehe es immer um den Gehalt eines Stoffes, wie Schauspieler das dann körperlich umsetzten, da lasse er ihnen viele Freiheiten.
Begonnen hat Eisenach seine Theaterkarriere als Assistent in Leipzig, wo er die Arbeitsweise von Regisseuren wie Sebastian Baumgarten und Sebastian Hartmann erlebt hat. Unter Intendant Oliver Reese ging er nach Frankfurt, arbeitete dort an experimentellen Produktionen mit, schrieb eigene Texte. Inzwischen inszeniert er neben Düsseldorf regelmäßig in Berlin und Hannover, wo er lebt.
Eisenach hatte zunächst nicht vor, Regisseur zu werden. Doch schon als Jugendlicher hat er sich dafür interessiert, wie Menschen sich künstlerisch ausdrücken. Sein eigenes Medium war anfangs aber vor allem das Schreiben. „Der Kosmos Theater hat mich immer fasziniert, aber ich habe mich zunächst nicht selbst darin gesehen“, sagt Eisenach. Doch dann machte er erste Praktika in diesem Kosmos, verfolgte begeistert, was Regisseure wie Schlingensief, Castorf, Lilienthal in Berlin zeigten. „Und irgendwann habe ich gedacht, dass ich das vielleicht auch selbst könnte“, sagt Eisenach und lacht. Der Punkt, selbst auf der Bühne zu arbeiten, war gekommen. Nun steht der erste Klassiker an. Heute Abend ist Premiere.