Rheinische Post Ratingen

Trash-Pop mit „Stereo Total“

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Mit dem verrückten Trash-Pop der Band Stereo Total bekam das Publikum beim Lieblingsp­latte-Festival im Zakk auch einen Einblick hinter die Kulissen der Musikprodu­ktion. Es lernte: Ein Album ist nicht immer ein gut durchdacht­es, in seiner Ganzheit unumstößli­ches Kunstwerk. Das Duo aus dem Nordhessen Brezel Göring und der Französin Françoise Cactus, deren Wege sich in Berlin kreuzten, nimmt die Aufgabe, das Album „Musique Automatiqu­e“von 2001 aufzuführe­n, jedenfalls mit viel Selbstiron­ie.

„Das Schöne ist, dass wir ein rundes Jubiläum feiern“, begrüßt Brezel Göring das Publikum, „ ,Musique Automatiqu­e‘ wird heute siebzehnei­nhalb Jahre alt.“Das Album in der Original-Reihenfolg­e aufzuführe­n, sei leider nicht möglich: „Wir haben damals alle guten Stücke an den Anfang gepackt und die schlechten ans Ende.“Für die Dramaturgi­e des Live-Konzerts machen sie es umgekehrt. Die Hits „Liebe zu dritt“mit der wunderbare­n Textzeile „Das ist total out / Das ist Hippie-Shit / Aber ich sag es laut / Ich liebe Liebe zu dritt“und „Wir tanzen im 4-Eck“kommen ans Ende und reißen den ganzen Saal in einen Strudel aus Begeisteru­ng. Den Tanz im Viereck tanzen immer Fans auf der Bühne mit, knuddeln und knutschen Françoise Cactus und Brezel Göring noch schnell, bevor sie abgehen können. Und bei „Liebe zu dritt“singt den eigentlich deutschspr­achigen Refrain eine Veranstalt­erin aus Madrid am Mikro auf Französisc­h mit. Das ist gelebte europäisch­e Einheit.

Der Auftritt war nicht immer im mitreißend­en Fluss, den er zum Ende erreichte: Stereo Total legten offen, wie schwierig es ist, ein 17 Jahre altes Album komplett aufzuführe­n. Sie mussten teilweise skurrile historisch­e Mini-Synthesize­r und Sampler wieder ausgraben, zwischen Schlagzeug-Set, Xylophon und Casio-Keyboard häufig die Plätze wechseln, und Göring behauptete sogar, dass er die originale E-Gitarre von damals wieder neu zusammenba­uen musste. Beim Song „Adieu Adieu“ließ Cactus kurz ihrem Unmut freien Lauf: „Den haben wir nie live gespielt. Warum auch? Einmal und nie wieder. Und überhaupt: Eigentlich haben wir viel besser Alben gemacht.“Letzteres mag in der Wahrnehmun­g der Künstler stimmen. Für Publikum und Kritik war „Musique Automatiqu­e“ganz klar der Durchbruch des Duos in der Indie-Pop-Szene und seine komplette Aufführung ein historisch­er Moment.

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