Blick nach rechts
Schon in dieser Woche könnte der Verfassungsschutz bekanntgeben, dass Teile der AfD beobachtet werden. Ist das eine gute Idee? Es löst jedenfalls nicht das Problem der öffentlichen Auseinandersetzung.
In Deutschland gibt es 2582 Abgeordnete. Sie sitzen in einem der 16 Landtage oder im Bundestag in Berlin. Gut elf Prozent von ihnen, nämlich exakt 285, sind Mitglieder der Alternative für Deutschland, AfD. Ist das viel? Oder wenig? Und: Spielt das überhaupt eine Rolle?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz, Hauptsitz Köln-Chorweiler, hat sich mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt. Es hat wochenlang mit sich gerungen, Experten befragt, Juristen und Politologen, erfahrene Verfassungsschützer aus dem Bund und aus den 16 Ländern. Dieser Prozess soll nun bald beendet sein, womöglich ist er es bereits, aber das ist streng geheim.
Der Verfassungsschutz hatte zu klären, ob die AfD, 285 Abgeordnete und gut 30.000 Parteimitglieder, bestrebt ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beschädigen oder gar zu beseitigen. Das ist laut Gesetz Voraussetzung dafür, dass eine Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Gefährdet die AfD wesentliche Säulen des Grundgesetzes? Dies ist derzeit die Gretchenfrage des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Beginnt der Verfassungsschutz die Beobachtung der AfD, wird es heißen, er werde im politischen Meinungskampf instrumentalisiert. Unterlässt der Verfassungsschutz die Beobachtung der AfD, wird es heißen, er unterschätze eine große Gefahr. Was ist also richtig?
Erstaunlich ist, dass diese Frage im öffentlichen Diskurs stets ohne Rücksicht darauf beantwortet wird, was das eigentlich bedeutet: Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Der Geheimdienst ist zu einer Prüfstelle der Verfassungsfeindlichkeit geworden; eine Rolle, die ihm nicht gebührt. Die Entscheidung, ob die AfD beobachtet werden soll, wird in der Bedeutsamkeit einem Parteiverbot gleichgesetzt. Das ist ein großes Missverständnis.
Im Regelfall bedient sich der Verfassungsschutz nämlich in den Medien. Zeitungen, Radio, Internet, Fernsehen – dort „beobachtet“der Verfassungsschutz. Die Beamten erstellen zunächst aus allgemein zugänglichen Quellen eine Materialsammlung. Abhören, Observieren, V-Leute – das sind scharfe Maßnahmen, die besonders genehmigt werden müssen. Darum geht es in der anstehenden Entscheidung jedenfalls nicht.
Damit soll die Bedeutung nicht heruntergespielt werden. Die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger sagt: „Die Sorge der AfD, dass sie durch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz weniger attraktiv für Mitglieder würde, ist nicht zu unterschätzen.“Die Partei verfüge über viele Mitglieder, die im öffentlichen Dienst arbeiteten, diese könnten aus beruflichen Gründen bestrebt sein, die Partei zu verlassen. „Man muss sehr vorsichtig sein, weil eine Beobachtung einen Eingriff in den politischen Wettbewerb darstellt“, sagt die Juristin Schönberger. Ihre Kollegen Heike Merten und Martin Morlok schreiben in einem Buch über Parteienrecht: „Mit der Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden ist eine Stigmatisierung verbunden, die ihre politische Arbeit erschwert.“
So viel ist klar: die AfD würde fortan den Stempel „Wird vom Verfassungsschutz beobachtet“tragen. Manche glauben, die Partei würde sich damit schmücken. Die AfD, so könnte eine Argumentation lauten, ist so gefährlich für das Establishment, dass diesem nichts anderes mehr einfällt, als den Geheimdienst einzusetzen. Dass die AfD so handeln wird, ist zwar möglich, darf aber keine Rolle spielen. Entweder kämpft die AfD gegen die verfassungsmäßige Ordnung, dann muss sie beobachtet werden – oder sie tut es nicht, dann darf sie nicht beobachtet werden. Der Verfassungsschutz darf sich nicht deswegen dagegen entscheiden, weil er Angst vor der Folge hat.
„Die AfD macht sehr stark Politik gegen das System“Sophie Schönberger Parteienrechtlerin